Zwischen Vertrauensarbeitszeit und minutengenauer Erfassung

Wie streng soll die Arbeitszeiterfassung gehandhabt werden?

Veröffentlicht: 11.10.2023 | Geschrieben von: Sandra May | Letzte Aktualisierung: 11.10.2023
Notebook und Uhr

Die rechtliche Grundlage zur Arbeitszeiterfassung ist schon überüberfällig. Im Mai 2019 entschied der EuGH, dass die Mitgliedstaaten arbeitgebende Unternehmen dazu verpflichten müssen, ein System zur Zeiterfassung einzuführen. Im September 2022 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass das Arbeitsschutzgesetz in seiner jetzigen Form europarechtskonform so ausgelegt werden muss, als gäbe es bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Entsprechend sind arbeitgebende Unternehmen bereits dazu verpflichtet, ein Zeiterfassungssystem zu betreiben.

Das Problem: Es fehlt eine konkrete gesetzliche Grundlage, die mit einem Rahmen für Rechtssicherheit sorgt. Die Politik wollte nachbessern, lässt sich aber Zeit. Nun kam aber wieder etwas Bewegung in die Sache: In einer Expert:innen-Anhörung im Arbeitsausschuss wurde über die konkrete Umsetzung der beiden Urteile diskutiert.

Im Kern ging es um den Referentenentwurf zur Einführung einer allgemeinen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung von April dieses Jahres. Der Entwurf sieht vor, dass arbeitgebende Unternehmen zur elektronischen Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind. Vertrauensarbeitszeiten sollen weiterhin möglich sein; allerdings müssen Unternehmen dennoch sicherstellen, dass sie erfahren, wenn gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wird.

Locker oder streng?

Der Unionsfraktion geht diese Regelung zu weit. „Dieser Entwurf ist ausgesprochen unausgewogen und würde sowohl die Beschäftigten als auch die Arbeitgeber mit überflüssiger Bürokratie gängeln“, zitiert Beck-Aktuell aus einem Antrag zum Referentenentwurf. Der Linksfraktion entgegen ist der Entwurf nicht streng genug. Von ihr wird eine taggenaue, lückenlose Dokumentation der geleisteten Arbeitsstunden als Anforderung an die Arbeitszeiterfassung gefordert.

Damit treffen die beiden Anträge der Fraktionen den Kern der Diskussion: Den einen geht der Entwurf zu weit, den anderen nicht weit genug.

Arbeitgeber für Fortbestehen der Vertrauensarbeitszeit

Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) spricht sich für einen Erhalt der Vertrauensarbeitszeit aus. Immerhin habe der EuGH nur entschieden, dass arbeitgebende Unternehmen eine Möglichkeit zur Zeiterfassung bieten müssen. Eine Pflicht, diese selbst durchzuführen, bestünde für Arbeitgeber:innen nicht. Entsprechend dürfe man auch nicht in bestehende Arbeitsverträge eingreifen, in denen eine Vertrauensarbeitszeit vereinbart ist. Als Lösung schlug er vor, die Höchstarbeitszeit auf die Woche zu verteilen.

Oliver Zander vom Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Elektro- und Metall-Industrie (Gesamtmetall) machte darauf aufmerksam, dass einige Branchen eine Arbeitszeiterfassung gar nicht wollen. Richter, in der Wissenschaft Tätige, die Anwaltskanzleien, die Lehrer – diese seien gegen eine Erfassung. Auch Beschäftigte, die heute eine Vertrauensarbeitszeit mit ihren Führungskräften vereinbart haben, würden die Erfassung ablehnen. Entsprechend ist er gegen den Antrag der Linksfraktion, der eine „gute, eingeübte Kultur verschütte[n]“ würde.

Überforderung von kleineren Unternehmen

Aus dem Handwerk meldete sich Jan Dannenbring vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZdH) zu Wort und betonte, wie wichtig Formfreiheit bei der Zeiterfassung sei. Damit zielt er auf die im Entwurf vorgesehene Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung ab. Vor allem kleinere Unternehmen seien von diesen Anforderungen überfordert. Immerhin machen Ortswechsel während der Arbeit eine elektronische Erfassung nicht gerade einfacher.

Eine taggenaue Erfassung sei gar nicht notwendig, findet Wolfgang Molitor vom Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks. Eine Wochen-Erfassung sei insbesondere dann eine Lösung, wenn es um Gewerbe ginge, die an verschiedenen Orten tätig werden müssen. 

Deutscher Gewerkschaftsbund für strenge Auslegung 

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) plädierte für eine taggenaue Aufzeichnung und eine strenge Auslegung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts. Isabel Eder vom DGB betonte, dass die Vertrauensarbeitszeit nur „pervertiert“ in der Praxis angewendet worden sei. Beschäftigte seien mit der Menge an Aufgaben allein gelassen worden. Entsprechend ist der DGB für eine Einhaltung des Achtstundentages. Dieser sei von erheblicher Bedeutung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Bezüglich möglicher Freiheiten verwies der DGB auf die Flexibilisierungsmöglichkeiten, die das Arbeitszeitgesetz schon jetzt bereithalte. 

Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unterstützte diese Ansicht und informierte darüber, dass die Arbeitszeit bereits von 80 Prozent der Beschäftigten erfasst werde. 

Juraprofesssorin Christiane Brors von der Universität Oldenburg sagte ebenfalls, dass eine Arbeitszeitdauer von mehr als acht Stunden am Tag gesundheitsschädlich sei. Sie sprich sich für eine taggenaue manipulationssichere Arbeitszeiterfassung aus. Ihr Fachkollege Gregor Thüsing von der Universität Bonn hingegen merkte an, dass der EU-Gesetzgeber von einer Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden ausginge und die Regierung „mehr Freiheit“ wagen könne. 

Fazit: Es wird nicht einfach

Die Expert:innen-Anhörung zeigt, dass die Umsetzung der beiden Urteile alles andere als einfach ist. Es gibt einige Belange zu berücksichtigen. In welche Richtung die Regierung mit ihrem Entwurf gehen wird, bleibt abzuwarten. Für arbeitgebende Unternehmen scheint eine gesetzliche Grundlage aber langsam in Sicht zu sein. Diese ist auch bitter notwendig, um endlich Rechtssicherheit zu schaffen. 

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Über die Autorin

Sandra May
Sandra May Expertin für: IT- und Strafrecht

Sandra schreibt seit September 2018 als juristische Expertin für OnlinehändlerNews. Bereits im Studium spezialisierte sie sich auf den Bereich des Wettbewerbs- und Urheberrechts. Nach dem Abschluss ihres Referendariats wagte sie den eher unklassischen Sprung in den Journalismus. Juristische Sachverhalte anschaulich und für Laien verständlich zu erklären, ist genau ihr Ding.

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Kommentare  

#1 J. Kuhn 2023-10-14 09:11
Die Frage ist, was bringt der ganze zusätzliche Aufwand an Nutzen?

Ein Arbeitsverhältn is fundiert in der Regel auf einem Arbeitsvertrag, hält sich eine Partei nicht daran kann sich die andere auf den Vertrag berufen, ggf. mittels Kündigung aussteigen. Die Arbeitsgerichte sind super arbeitnehmerfre undlich eingestellt, wo ist das Problem?

Ganz offen, man versucht es wieder mal einem Menschen, der zu feige oder zu bequem ist, seine Angelegenheit mit seinem Chef zu klären, leicht zu machen.

NUR das ist der Hintergrund dieses Bürokratiemonst ers!
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