Aus der Praxis

Sind bei einem Widerruf wirklich die Hinsendekosten zu erstatten?

Veröffentlicht: 15.07.2021 | Geschrieben von: Yvonne Bachmann | Letzte Aktualisierung: 15.07.2021
Frau verpackt Paket

Nicht alle Shops wollen oder können eine versandkostenfreie Bestellung anbieten, darunter immer noch große und bekannte Shops. Sie berechnen einen Unkostenbeitrag für den Versand. Entscheidet sich der Kunde jedoch, die Bestellung komplett zu widerrufen, will der Händler natürlich trotzdem nicht auf den einmal angefallenen und vom Kunden bezahlten Hinsendekosten sitzen bleiben. Zu recht?

„Auch Lieferkosten zurückgewähren”

Laut dem Gesetz gilt Folgendes: „Der Unternehmer muss auch etwaige Zahlungen des Verbrauchers für die Lieferung zurückgewähren.” Mit den im Gesetz genannten „Zahlungen des Verbrauchers für die Lieferung“ sind die Versandkosten gemeint, also die beim Hinversand der Ware an den Verbraucher entstandenen Hinsendekosten. 

So verwenden Online-Händler meistens sinngemäß auch folgende Formulierung in der Widerrufsbelehrung: „Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), […] zurückzuzahlen […].“

Faktisch läuft dies also darauf hinaus, dass der Händler, ob er nun die Versandkosten extra berechnet oder sie mit einpreist, bei einem vollständigen Widerruf immer den bereits im Voraus gezahlten Gesamtpreis erstatten muss. Hat der Kunde noch nicht bezahlt, muss er die Rechnung (bestehend aus Kaufpreis und Versandkosten) nicht mehr begleichen.

Mehrkosten trägt der Kunde

Das Gesetz macht jedoch eine Ausnahme: Von der Erstattung nicht erfasst wären zusätzliche Kosten, die über die günstigste Standardlieferung hinausgehen. Beispiele dafür wären der Expressversand oder die Zustellung zur Wunschzeit. Entscheidet sich ein Verbraucher bei der Bestellung für eine teurere Versandart, zum Beispiel für einen Expressversand statt der Standardlieferung, müssen Online-Händler diese Differenz nicht erstatten, die Standardversandkosten aber schon.

Exkurs: Der Teilwiderruf

Häufig bestellen Kunden aber mehrere Artikel und entscheiden sich schließlich nur für oder gegen einen Teil der Bestellung, ein sogenannter Teilwiderruf. Das Gesetz selbst kennt und erwähnt diesen Fall übrigens (wie so oft) gar nicht. Daher müsste man eigentlich von einem Alles-oder-Nichts-Prinzip ausgehen. Weil der Teilwiderruf praktisch aber eine so große Bedeutung hat, sollte man von einer unbewussten Lücke im Gesetz ausgehen und diesen Teilwiderruf für alle teilbaren Leistungen zugunsten der Verbraucher akzeptieren. Denkbare Fälle sind beispielsweise die Bestellung verschiedener Kleidungsstücke, nicht jedoch Sets zu einem einheitlichen Gesamtpreis (z. B. Pyjama bestehend aus Ober- und Unterteil).

Dem Verbraucher müssen in so einem Fall die Hinsendekosten nicht zurückerstattet werden, die ohnehin und für den für den Teil der Bestellung angefallen wären, den er behalten möchte. Das trifft vermutlich auf die meisten Versandkostenmodelle zu, bei denen Shops eine Versandkostenpauschale unabhängig vom Warenwert berechnen. Staffelt der Händler seine Versandkosten beispielsweise nach Gewicht, was mittlerweile eher selten ist, muss berechnet werden, welche Versandkosten angefallen wären, wenn der Kunde nur die behaltene Ware bestellt hätte.

  • Beispiel: Kunde bestellt zwei Paar Sneaker in zwei Größen zur Anprobe und zahlt hierfür pauschal 3,95 Euro Versand. Er entscheidet sich für eine Größe und sendet das andere Paar zurück. Es handelt sich um einen Teilwiderruf, bei dem die Versandkosten in Höhe von 3,95 Euro für den Hinversand nicht vom Händler zu erstatten sind, da diese auch angefallen wären, wenn er von vorneherein nur das eine Paar bestellt hätte.
  • Beispiel: Kunde bestellt einen Flachbildfernseher und eine dazu passende Wandhalterung. Für den Standardversand (paketversandfähige Ware) berechnet der Shop 4,99 Euro Versand. Der Fernseher wird jedoch mit einer Spedition zugestellt, wofür pauschal 9,99 Euro anfallen. Bei einer Kombination aus Paket- und Speditionsware werden beide Versandkosten jeweils gesondert in Rechnung gestellt. Der Kunde möchte nur den Fernseher behalten, die Wandhalterung gefällt ihm doch nicht. Er bekommt die Versandkosten für die Wandhalterung in Höhe von 4,99 Euro erstattet.

Problem: Nachberechnung von Versandkosten

Der Fall kann jedoch auch anders liegen und der Kunde mit seiner Bestellung eigentlich eine Versandkostenfreigrenze überschreiten. Schickt er nun einen Teil der Bestellung zurück, unterschreitet er damit möglicherweise die Versandkostenfreigrenze und hätte eigentlich Versandkosten zahlen müssen.

Es ist aus unserer Sicht nicht statthaft, dem Kunden nach einem erfolgten Widerruf, durch welchen er die Versandkostenfreigrenze unterschreitet, die Versandkosten nachzuberechnen und von der Summe, die erstattet wird, nachträglich abzuziehen. Denn mit einem Widerruf würde er quasi eine Strafe aufgebürdet bekommen und kann so den Widerruf nicht mehr frei ausüben.

  • Beispiel: Kunde bestellt zwei Paar Sneaker zu je 39,95 Euro in zwei Größen zur Anprobe und zahlt hierfür keine Versandkosten, weil der Shop ab einem Bestellwert von 49 Euro versandkostenfrei liefert. Darunter fallen grundsätzlich Versandkosten in Höhe von 3,95 Euro an. Er entscheidet sich für eine Größe und sendet das andere Paar zurück. Es handelt sich um einen Teilwiderruf, bei dem die Versandkosten in Höhe von 3,95 Euro für den Hinversand nicht nachberechnet werden können, obwohl der Kunde den geforderten Bestellwert bei der Bestellung von nur einem Paar unterschritten hätte.
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