Themenreihe Marktplätze

Wie künstliche Intelligenz das Marktplatz-Geschäft grundlegend verändert

Veröffentlicht: 02.10.2023 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 09.11.2023
KI

Dieser Artikel ist Teil unserer Marktplatz-Themenreihe: Diese beleuchtet in verschiedenen Beiträgen nicht nur wichtige Zahlen und Fakten von Amazon, Ebay und Co., sondern stellt Händlerinnen und Händlern auch Tipps rund um Marketing, Anzeigen, SEO oder Internationalisierung auf Marktplätzen bereit. Außerdem finden sich Erfahrungsberichte und Interviews zu spezifischen Online-Plattformen wie Temu, Wish und Shein.
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Im Jahr 2001 habe ich das erste Mal etwas auf Amazon bestellt, wie die Bestellhistorie verrät: Das Freespace 1+2 Battlepack (ein Videospiel), das SideWinder Precision 2 (ein Joystick, ohne den sich Weltraumspiele damals nicht wirklich steuern ließen) und zwei CDs (die Älteren werden sich erinnern) der zu Recht längst vergessenen Hard-Rock-Bands (man sagte auch mal Hair Metal dazu) Cinderella und Bonfire. Letztere sind aber tatsächlich noch immer aktiv, wie ein Blick in die Wikipedia-Seite verrät. Es waren andere Zeiten. Für mich mit meinen gerade 15 Lenzen, aber vor allem natürlich für Amazon.

Die Webseite sah damals nicht nur anders aus als heute, sie funktionierte auch noch grundlegend anders. Die Produktsuche war ein Glücksspiel, ein sinnvoller Algorithmus ließ sich kaum erkennen. Produktinformationen waren rudimentär, Bilder waren auf das Nötigste reduziert und Bewertungen spielten noch nicht annähernd die Rolle, die sie heute spielen. Und: Von Automatisierung war kaum etwas zu erkennen. Das galt nicht nur für Amazon, es war ganz generell eben noch ein eher frühes Stadium des Masseninternets. Das hat sich dankenswerterweise in den letzten 20 Jahren geändert. Einer der großen Gamechanger war und ist dabei künstliche Intelligenz.

KI: Der Elefant im Hintergrund

Diese Technologie, die dank ChatGPT gerade wieder als der neue Hype gilt, aber natürlich schon lange vorher viele Winkel des Internets und des Online-Handels durchdrungen hat, hat dafür gesorgt, dass Marktplätze heute ganz anders funktionieren als früher. Das große Mysterium dabei: Kaum jemand bekommt es mit, aber alle profitieren davon.

Wer bei Amazon, Ebay, Otto, Kaufland, Zalando, AboutYou und all den anderen Online-Marktplätzen unterwegs ist, wird nicht per Hinweis-Pop-Up darüber informiert, dass für die Suche KI eingesetzt wird. Dass Produktbewertungen dank intelligentem Algorithmus im Hintergrund passend angeordnet werden. Dass viele Produktbeschreibungen wahrscheinlich von einer generativen KI wie ChatGPT verfasst wurden. Oder dass Händler:innen dank KI-Tools besser verstehen, wie die Kund:innen ticken und darauf ihre Online-Auftritte abstimmen.

Kurzum: Künstliche Intelligenz ist längst überall. Viele Marktplätze setzen die Technologie unterschiedlich ein. Im Folgenden sollen einige Beispiele beim Verstehen helfen. Denn klar ist auch: Ein allumfassender Überblick ist schon lange nicht mehr möglich, weil künstliche Intelligenz nicht erst seit gestern keine Spielerei mehr ist, sondern tief in den Marktplätzen verwurzelt ist. Exemplarisch soll dies an Amazon, Ebay und Otto.de gezeigt werden.

Amazon: Überall künstliche Intelligenz

Dass Amazon künstliche Intelligenz nicht nur nutzt, sondern am besten auch Marktführer bei der Technologieentwicklung sein will, ist kein Geheimnis. Erst kürzlich investierte der Konzern 4 Milliarden US-Dollar in das KI-StartUp Anthropic. Dessen KI-Bot Claude soll eng mit der Cloud von Amazon Web Services verzahnt werden und also auch Unternehmen zugutekommen, die AWS nutzen. Die Sprachassistenz Alexa ist als KI-Vorzeigeprodukt seit Jahren eines von Amazons wichtigsten Produkten, soll mit einer Generalüberholung künftig aber noch intelligenter werden und als generatives KI-Modell sogar ChatGPT in den Schatten stellen – und zwar nicht per Chat, sondern im Sprachdialog.

Aber auch und vor allem der Marktplatz ist tief mit KI-Tools verzahnt. Dass künstliche Intelligenz im Algorithmus längst eine große Rolle spielt, ist bekannt. Die Suche bei Amazon nutzt KI schon lange, um personalisiert die besten Suchergebnisse anzuzeigen. Allerdings steht die Funktion auch immer wieder in der Kritik. Besser soll es künftig mit einer generativen Suchmaske werden, ähnlich wie man es zum Beispiel von Google kennt. Mit einem Chatbot sollen potenzielle Kund:innen dann eine Art Verkaufsgespräch führen, um so zu den passenden Ergebnissen gelotst zu werden. Das Stichwort lautet hier „Conversational Commerce“.

Auch in der Logistik und im Backend für Händler:innen nutzt Amazon schon seit bald einem Jahrzehnt KI-Tools. Auf der Amazon Accelerate stellte der Konzern einen ganzen Schwung neuer Produkte vor. So ist es zum Beispiel nun möglich, mittels generativer KI fast die komplette Produktpräsentation zu erstellen. Egal, ob Titel, Bullet Points oder gleich die Produktbeschreibung – ein ChatGPT-artiges Tool soll Händler:innen an dieser Stelle eine ganze Menge Arbeit abnehmen. Es reiche, eine kurze Produktbeschreibung einzugeben und die KI erstellt daraus den nötigen Content, der im Nachhinein natürlich noch manuell angepasst werden kann.

In den Fulfillment Centern von Amazon geht ohne Technologie mit künstlicher Intelligenz ohnehin nichts mehr. Zum Beispiel nutzen die ersten Lager in den USA künstliche Intelligenz, um defekte oder kaputte Ware schon vor dem Versand auszusortieren. Im kommenden Jahr sollen auch europäische Standorte hinzukommen.

Mit Supply Chain by Amazon hat der Konzern auf der Accelerate quasi eine automatisierte Erweiterung zum FBA-Programm (Fulfillment by Amazon) angekündigt. Gerade in Zeiten, in denen Lieferengpässe und Probleme in den Lieferketten zur Norm gehören, soll Händler:innen damit die Arbeit erleichtert werden. Amazon übernimmt dabei von der Abholung beim Hersteller, über Zollregularien und internationale Lieferung bis zur Zustellung bei den Kund:innen alles. Das ganze funktioniert automatisiert, ohne dass sich Händler:innen damit beschäftigen müssen. Das ist jedenfalls die neueste Idee – ob das alles so reibungslos klappt, wird sich in Zukunft zeigen, es zeigt aber einmal mehr, wie investiert der Konzern in ein automatisiertes Business ist.

Ebay: Immer noch mit Suchfunktion

Im Jahr 2016 hat der damalige Ebay-CEO Devin Wenig prophezeit, dass das Suchfeld auf Online-Marktplätzen künftig obsolet sein werde. Im Jahr 2023 ist das zwar noch nicht eingetreten, seine Prognosen von damals sind aber nah an dem, was wir heute bei Ebay und im Online-Handel generell vorfinden. Wenig sagte zum Beispiel: „Als Kunden werdet ihr erfahren, dass es fast so ist, als hättet ihr einen persönlichen Berater an der Hand – mit dem Unterschied, dass dieser mit jeder Nutzung immer klüger wird, sich mehr auf eure Bedürfnisse einstellt.“ Genau da wollen alle Anbieter hin. Weg von einer generischen Suchmaske mit zusammengewürfelten Ergebnissen und hin zu einer auf KI basierenden Personalisierung, die das Shopping erleichtert. Da ist weder Ebay noch die Konkurrenz bisher vollumfänglich angekommen, die Implementierung von KI-Tools hat aber in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass sich die Suche auf Marktplätzen erheblich verbessert hat.

Ganz neu ist bei Ebay das sogenannte „Magical Listing“. Dabei soll ein Bild ausreichen, um einen Artikel einzustellen. Sämtliche Informationen zu dem Produkt soll sich das KI-Tool aus dem Bild und im Netz verfügbaren Daten holen. Das soll vorerst aber nur in den USA funktionieren. Deutsche Ebay-Händler:innen können bei der Angebotserstellung aber ebenfalls von KI profitieren. Das soll auch privaten Anbietern helfen, die noch nicht viel Erfahrung im Verkauf haben. Verkäufer:innen geben Titel, Kategorie und Artikelmerkmale ein und auf dieser Basis erstellt die KI einen passenden Text. Passend dazu gibt es nun auch ein passendes KI-Tool für die Bilderstellung, das die Freistellung von Produktbildern erleichtert. „Die neuesten Fortschritte in der generativen KI bieten uns ganz neue Möglichkeiten. Bis vor kurzem mussten wir uns entweder für die Optimierung des Ein- oder des Verkaufserlebnisses entscheiden. Mithilfe von KI können wir nun beide Ziele gleichzeitig erreichen“, so Jenny Schmaler, die das private Verkaufen bei eBay Deutschland verantwortet.

Otto.de: Leiser Vorreiter

Im August hat Otto.de, nach eigenen Angaben als erster deutscher Anbieter, einen KI-Assistenten getestet. Das Prinzip: Kund:innen geben ihre Frage in einer Chatleiste direkt über den Bewertungen ein. Die passende Antwort wird auf Basis von vorhandenen Bewertungen, der Produktbeschreibung und dem Produkttitel von der KI generiert. Die Testphase lief mit 180.000 Produkten. Das ist die neueste KI-Implementierung auf dem Marktplatz, aber nicht die einzige.

Bei Otto arbeiten aktuell etwa 100 Mitarbeiter:innen an der Entwicklung von KI-Produkten, derzeit habe man über 40 entsprechende Anwendungen im Einsatz. Das beginnt bei einer KI-gestützten Suche und setzt sich bei per KI geordneten Produktrezensionen fort. Auch Image Recognition hat Otto im Einsatz. „Das hilft uns beispielsweise dabei, zu verhindern, dass im wachsenden Marktplatz-Geschäft unerwünschte Artikel auf der Plattform angeboten werden. Denn die KI filtert z. B. verfassungswidrige Symbole oder Nacktheit (beispielsweise in einer Produktabbildung für Duschzubehör) heraus“, erklärt ein Konzernsprecher.

Auch in der Logistik macht sich Otto künstliche Intelligenz zunutze. Mit AI Forecasting soll dort etwa vorhergesagt werden, welche Artikel wann im Lager eintreffen, mit welchem Absatz zu welchem Zeitpunkt zu rechnen ist und wie viele Artikel retourniert werden. „Diese Informationen nutzen wir dann beispielsweise zur Optimierung unserer Lagerlogistik, um Beschaffungsmengen im Einkauf zu bestimmen sowie im Vertrieb für Aktionsplanungen. Monatlich nehmen wir mehrere Milliarden Einzelprognosen vor, um die verschiedenen Anforderungen bestmöglich zu bedienen.“

KI nicht als Selbstzweck

Amazon, Ebay und Otto.de sind nur drei Beispiele für eine Branche, die ohne künstliche Intelligenz längst nicht mehr denkbar ist. Zalando oder AboutYou verringern zum Beispiel Retouren mit künstlicher Intelligenz, Kaufland bzw. die dahinter stehende Schwarz-Gruppe baut gleich einen ganzen KI-Forschungspark in Heilbronn. 2023 könnte man den Eindruck bekommen, es gehe nur darum, das Buzzword unterzubringen, so viele Neuerungen, wie derzeit eingeführt werden.

Es darf aber nicht darum gehen, Technologie zum reinen Selbstzweck verkommen zu lassen, wie Dominik Knobloch von Kaufland gegenüber OHN erklärt: „Sie dient vielmehr dazu, digitale Lösungen und neueste technologische Errungenschaften zu nutzen, um den Geschäftsbetrieb und die Prozesse zu optimieren sowie das Einkaufserlebnis der Kunden zu verbessern“.

Was klar ist: An künstlicher Intelligenz führt schon heute kein Weg mehr vorbei und in Zukunft wird es noch zunehmen, aber vielleicht ohne das mediale Bohei, wenn die Technologie noch mehr zur Normalität geworden ist. KI verändert die Arbeitswelt und damit auch den E-Commerce, wie es kürzlich auch Fabian Silberer von SevDesk im OHN-Interview erklärte: „Die einfachen, deklarierenden Aufgaben werden Stück für Stück wegfallen. Sei es die Buchhaltung oder die Steuererklärung. Das wird alles automatisiert im Hintergrund ablaufen. Ebenso wie beispielsweise bei Bestellprozessen. Da wird es KI geben, die aufgrund der gesammelten Daten der letzten Jahre sagen kann, dass z. B. am 12. Juli besonders viele Schuhe gekauft werden und deshalb das System rechtzeitig vorwarnt, dass Schuh XY in den nächsten Tagen ,out of stock‘ laufen wird.“

Dieser Artikel ist Teil unserer Themenreihe Marktplätze. Eine Übersicht über die wichtigsten Plattformen, Erfahrungsberichte und weitere Artikel zu verschiedenen Marktplatzthemen findet ihr auf unserem Themen-Hub zur Reihe! >> Zur Themenreihe Marktplätze

Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

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Kommentare  

#1 anja 2023-10-04 09:12
eine horrorvorstellu ng, die jetzt schon nicht mehr zu ertragen ist.
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