Wie geht es weiter?

EU-Lieferketten-Richtlinie vorerst gestoppt

Veröffentlicht: 12.02.2024 | Geschrieben von: Sandra May | Letzte Aktualisierung: 12.02.2024
Textilfabrik

Eigentlich sollte am Freitag über die EU-Lieferketten-Richtlinie abgestimmt werden. Allerdings wurde die Abstimmung nun verschoben. Der Grund ist, wenn man der Kausalkette folgt, die Blockade der FDP.

Deutschland wollte sich enthalten

Der Hintergrund der Verschiebung ist der folgende: Im Dezember trafen sich Unterhändler:innen der EU-Mitgliedstaaten und einigten sich auf einen gemeinsamen Nenner, was die EU-Lieferketten-Richtlinie angeht. Das nachfolgende Abstimmungsprozedere gilt oft nur als Formalie. Immerhin sollen solche Treffen Unstimmigkeiten vorher aus dem Weg räumen und bösen Überraschungen vorbeugen. Nach der Einigung verkündete die FDP, der kleinste Partner der Regierungskoalition, die Richtlinie so nicht mittragen zu wollen. Die Folge war, dass Deutschland sich bei einer Abstimmung hätte enthalten müssen, was einem “nein” gleichkommt. Auch andere Länder meldeten daraufhin ihre Zweifel an der Richtigkeit der Regelungen an, sodass unklar war, ob die Richtlinie am Freitag eine Mehrheit bekommen hätte.

„Die FDP hat nicht nur Deutschland zu einer Enthaltung gezwungen, sondern auch auf andere Länder Druck ausgeübt, dem EU-Lieferkettengesetz ebenfalls nicht zuzustimmen“, fasst Europa-Abgeordnete Anna Cavazzini (Grüne) die Geschehnisse laut NDR zusammen. FDP-Vize Johannes Vogel blieb gegenüber dem NDR bei der Haltung, dass das Gesetz zu viel Bürokratie mit sich bringe.

EU-Lieferketten-Richtlinie strenger als deutsches Gesetz

Durch die Verschiebung der Abstimmung ist unklar, ob die Richtlinie vor der Europawahl im Juni verabschiedet werden kann. Die Richtlinie wäre strenger gewesen als das deutsche Lieferkettengesetz: Dieses gilt seit Anfang 2024 für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitende. Unternehmen müssen entlang der Lieferketten schauen, inwiefern beispielsweise gegen Menschenrechte verstoßen wird. Die EU-Regeln hätten ab 500 Beschäftigten im Unternehmen gegriffen. Unternehmen, die in besonders kritischen Branchen, wie etwa der Textilbranche, angesiedelt sind, hätten ab einer Größe von 250 Beschäftigten Berichtspflichten erfüllen müssen.

Meinung in der Wirtschaft geht auseinander

Die Wirtschaft hat keine einheitliche Meinung über den vorläufigen Stopp der Richtlinie. Nicht von der Hand zu weisen ist aber der Fakt, dass in Deutschland nun einmal weiter das nationale Gesetz gilt. Damit müssen sich deutsche Unternehmen schon jetzt an Regularien halten, die es in keinem anderen EU-Mitgliedstaat gibt. Mit einer einheitlichen Richtlinie gäbe es zumindest innerhalb der EU für alle Unternehmen die gleichen Regeln.

In der Bekleidungsbranche jedenfalls findet das EU-Vorhaben laut Fashionunited eine allgemeine Zustimmung. Entsprechend zeigte sich das Unternehmen Tchibo über die Verschiebung enttäuscht. Vaude-Chefin Antje von Dewitz macht in einem Interview mit Capital auf die Verantwortung der Wirtschaft aufmerksam. „Vor dieser Aufgabe können sich Unternehmen nicht wegducken. Keine Verantwortung zu übernehmen ist ein falscher Protektionismus. Deshalb ist das EU-Lieferkettengesetz eine riesige Chance für Deutschland und die EU, sich zukunftsstark aufzustellen und zu zeigen, dass Menschenrechte und Umweltschutz mit Wirtschaft vereinbar sind“, heißt es konkret von ihr. Zum immer wieder auftauchenden Bürokratie-Argument hat sie auch eine klare Haltung: „Risikoanalyse ist kein Hexenwerk. Da muss man ein Management-System aufbauen und bei Verstößen, die auffallen, Ableitungen treffen und Lösungen suchen. Wo die Risiken am höchsten sind, müssen Unternehmen handeln und Vorkehrungen treffen.“

Raoul Roßmann ist hingegen der Ansicht, dass die Politik ihre Verantwortung nicht an die Wirtschaft auslagern kann. „Unsere bisherigen Erfahrungen bei der Dirk Rossmann GmbH mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zeigen aber, dass mehr bürokratischer Aufwand betrieben, als wirklich etwas gegen Missstände bewirkt wird. Dem LkSG fehlt jegliche Erfolgskontrolle – ein EU-Lieferkettengesetz würde dies nicht verbessern, ganz im Gegenteil“, schreibt er auf LinkedIn

Der dm-Chef Christoph Werner kritisiert unter anderem, dass seine Zulieferer Bezugsquellen offenlegen müssten und er damit mit seinen Eigenmarken eben jene Bezugsquellen nutzen könne. Das wäre ein Wettbewerbsnachteil. Außerdem moniert er ganz generell, dass der Zweck nicht die Mittel heilige: „Das Anliegen ist natürlich richtig. Wir wollen, dass Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden für Produkte, die wir in der Europäischen Union konsumieren. Die Frage ist nur, wie wir das Ziel erreichen und wer die relevanten Akteure dabei sind. Ich plädiere dafür, dass so etwas ordnungspolitisch durch Handelsabkommen gelöst werden muss und nicht über die Wirtschaft. [...] Die Anforderung an die Unternehmen ist im Prinzip, dass in den Ländern, in denen wir produzieren, nach europäischen Rechtsnormen gehandelt wird. Wir haben aber nicht wirklich Möglichkeiten dazu, solche Dinge durchzusetzen. Dafür sind die nachgefragten Mengen gar nicht hoch genug“, sagt er ebenfalls in einem Interview mit Capital

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Über die Autorin

Sandra May
Sandra May Expertin für: IT- und Strafrecht

Sandra schreibt seit September 2018 als juristische Expertin für OnlinehändlerNews. Bereits im Studium spezialisierte sie sich auf den Bereich des Wettbewerbs- und Urheberrechts. Nach dem Abschluss ihres Referendariats wagte sie den eher unklassischen Sprung in den Journalismus. Juristische Sachverhalte anschaulich und für Laien verständlich zu erklären, ist genau ihr Ding.

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