Kolumne: Facebook und das tote Mädchen – Nutzerdaten sind nicht wichtiger als Mitgefühl

Veröffentlicht: 28.04.2017 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 28.04.2017

Ein Mädchen stirbt und Facebook weigert sich, dessen Konto für die Eltern zugänglich zu machen. Sind Nutzerdaten mittlerweile wirklich so wertvoll, dass man Anstand und Mitgefühl komplett über Bord wirft?

2015 stirbt ein 15-jähriges Mädchen in einer U-Bahn-Station in Berlin. Ob es ein Unfall, ein Verbrechen oder ein Suizid war, ist bis heute ungeklärt. Man kann sich nicht vorstellen, was das für die Eltern bedeutet. Dass diese alles Erdenkliche tun, um herauszufinden, was damals passierte, um vielleicht auch nur ein bisschen Frieden zu finden, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern gesunder Menschenverstand. Um Hinweise auf die Umstände zu erlangen, erbitten die Eltern Zugriff auf das Facebook-Konto des Mädchens. Doch Facebook blockt ab und kämpft geradezu verbissen darum, die Zugangsdaten nicht herauszugeben. Man muss kein Vater und keine Mutter sein, um das hochgradig geschmacklos zu finden.

Wen interessieren die Nutzungsbedingungen?

Facebook pocht auf seine Nutzungsbedingungen, man gebe eben grundsätzlich keine Daten von Toten weiter. Angesichts des von Facebook gewünschten, aber in Deutschland vorerst verbotenen Datenaustauschs mit der Konzerntochter WhatsApp wirkt der Zusatz „von Toten“ nachgerade makaber. Und genau hier liegt ja der Kern des Konflikts. Nutzerdaten sind die heißeste Ware im Netz, selbst wenn sie nicht, wie die großen Internetkonzerne stets beteuern, meistbietend weiterverkauft werden, ist ihr Wert gar nicht hoch genug einzuschätzen. Je besser ich den Nutzer verfolgen kann und je besser ich ihn kenne, desto besser kann ich von ihm profitieren. Facebook glaubt offenbar, hier könnte ein Präzedenzfall entstehen, der mittelfristig für den Verlust der Datenhoheit sorgt.

Digitales Erbe ist ein komplexes Thema und natürlich will niemand, dass die eigenen Daten an Werweißwen herausgegeben werden. Aber Facebook, ganz ehrlich: Könnte man zur Abwechslung mal kein gesichtsloses Datenimperium sein und auch nur einen Funken Menschlichkeit zeigen? Wir sprechen hier von Eltern, die wissen möchten, wie ihr Kind verstarb und nicht über Terrorverdacht, Online-Kriminalität oder Verkaufsmaximierung. Tut es wirklich so weh, eine einzige, für den Konzern unbedeutende, Ausnahme von den ach so heiligen Nutzungsbedingungen zu machen?

Es ist ja kurioserweise nicht einmal so, dass Facebook sich auf Paragraphen und geltendes Recht beruft, schließlich bekamen die Eltern schon 2015 vor dem Landgericht Berlin Recht. Facebook ging in Berufung und will mit aller Macht verhindern, dass die Eltern den Chat ihrer verstorbenen Tochter lesen können. Das Unternehmen präsentiert sich als bockiges, stures Kind, das auf seinem Standpunkt beharrt, obwohl ihm längst erklärt wurde, dass dieser Standpunkt maximal diskussionswürdig ist. Was Facebook mit diesem makabren Rechtsstreit am Ende erreicht, ist die Bestätigung, dass die Nutzer dem Unternehmen völlig egal sind, und dass zwei Menschen, die ein Kind verloren haben, auch nach Jahren nicht mit diesem tragischen Ereignis abschließen können. Das ist nicht nur unnötig, das ist widerlich, Facebook.

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