Wir wurden gefragt

Ist die bundeseinheitliche Corona-Notbremse verfassungswidrig?

Veröffentlicht: 22.04.2021 | Geschrieben von: Sandra May | Letzte Aktualisierung: 23.04.2021
Schild mit dem Wort "Ausgangssperre"

Gestern hat der Bundestag eine bundeseinheitliche Notbremse beschlossen. Mit dieser Änderung des Infektionsschutzgesetzes soll Klarheit in den föderalen Blumenstauß aus unterschiedlichsten Corona-Maßnahmen gebracht werden. 

Angesichts der zahlreichen Unsicherheiten und Fragen, die sich aufgrund der 16 unterschiedlichen Corona-Schutzverordnungen in den letzten Monaten ergeben haben, erscheint das als eine gute Lösung. Allerdings gibt es auch Kritik. Die Schmiede des Gesetzes müssen sich den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gefallen lassen. Was ist dran?

Ein Todesstoß für den Föderalismus?

Schon allein der Umstand, dass es sich um eine bundeseinheitliche Maßnahme handelt, trifft auf gespaltene Meinungen. Die einen finden es gut, denn immerhin glichen die unterschiedlichen Verordnungen der Bundesländer teilweise einem sich gegenseitigen Unterbieten an Inzidenzwerten. Das führte gerade an den innerstaatlichen Grenzen zu Verunsicherungen. Die andere Seite meint, dass der Demokratie damit ein Grab geschaufelt wird.

Der Föderalismus an sich ist im Grundgesetz verbrieft und hat unter anderem den Zweck, zu verhindern, dass zu viel Macht an einer Stelle konzentriert wird. Außerdem sorgt er dafür, dass sich auch in den kleinsten Gemeinden interessierte Personen aktiv an der politischen Willensbildung beteiligen können. Auch die Erfahrungen aus dem Jahr 1933 lassen daher viele aufhorchen, wenn der Bund etwas beschließt, was vorher in der Hand der Länder lag. Dass ist allerdings noch nicht der Knackpunkt, um den sich die Frage der Verfassungmäßigkeit dreht.

Wie verhältnismäßig ist die Ausgangssperre?

Der Grund, warum Kritiker die Notbremse als möglicherweise verfassungswidrig ansehen ist die Ausgangssperre, die zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens gelten soll. Spaziergänger und Jogger dürfen das Haus immerhin bis 0 Uhr verlassen. 

Die Ausgangssperre wird als unverhältnismäßig angesehen. Allerdings muss eine Maßname, die in die Grundrechte eingreift, immer verhältnismäßig sein. Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass mit dem Eingriff ein legitimer Zweck verfolgt werden muss. Die Maßnahme muss zudem geeignet und erforderlich – also das mildeste Mittel bei gleicher Effektivität im Vergleich zu anderen Mitteln sein – um dem Zweck zu dienen. Zudem muss das durch die Maßnahme geschützte Rechtsgut gegenüber dem, welches verletzt wird, überwiegen (sogenannte Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). 

Sind pauschale Ausgangssperren ein geeignetes und erforderliches Mittel?

Die Diskussion reibt sich besonders an der Geeignetheit der Ausgangssperren auf. So sei der wissenschaftliche Nutzen nicht belegt. Die Zahlen aus Großbritannien und Kanada zeigen zwar, dass mit nächtlichen Ausgangssperren auch durchaus die Fallzahlen sinken, allerdings wurde bisher nicht ausreichend untersucht, inwiefern die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Maßnahmen eine Rolle spielen. Entsprechend ist es schwer, eine fundierte Aussage dazu zu treffen, welchen Anteil Ausgangssperren an einer erfolgreichen Eindämmung der Pandemie haben. Hier gehen die Meinungen von Wissenschaftlern auseinander. Während Drosten und Gesundheitsexperte Lauterbach die Notbremse mit all ihren Maßnahmen nicht weit genug geht, zweifelt Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, den Nutzen an: „Ich glaube, dass man mit Ausgangssperren und der Maskenpflicht im Freien nur eine minimale Anzahl von Infektionen verhindert“, wird er dazu vom Tagesspiegel zitiert. Der kritische Bereich liege in Innenräumen; nicht draußen. 

Während Scholz die Ausgangssperren als verhältnismäßig verteidigt, äußerte bereits Anfang März eine Rechtsexpertin des Gesundheitsreferats Zweifel. Dabei verwies sie auf die „derzeit nicht belegte Wirksamkeit“.

Das sagen die Gerichte

Es gibt also zwei Lager, und am Ende müsste das Bundesverfassungsgericht über die Verhältnismäßigkeit und damit auch über die Verfassungsmäßigkeit von Ausgangsbeschränkungen entscheiden. Wie die Entscheidung ausfällt, lässt sich aktuell schwer einschätzen. Immerhin gibt es bereits einige Urteile zu den lokalen Ausgangssperren, die mal in die eine Richtung und mal in die andere tendieren. 

So entschied das Kölner Verwaltungsgericht, dass die dortige Ausgangssperre rechtmäßig sei. Es sei aktuell kein gleich geeignetes Mittel zur Infektionsbekämpfung erkennbar und andere, vorherige Maßnahmen hätten nicht gegriffen, berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hob im Gegensatz die Ausgangssperre im Main-Kinzig-Kreis auf. Laut ZDF wurde die Ausgangssperre als unverhältnismäßig eingestuft. Dass 60 Prozent der Neuinfektionen bei Zusammenkünften in Innenräumen entstünden und die häufigste Infektionsquelle im häuslichen/familiären Bereich liege, rechtfertige nicht diese stark in die Grundrechte eingreifenden Maßnahmen.

Man sieht also: Juristisch gesehen kann in beide Richtungen argumentiert werden. Mit einem einfachen Ja oder Nein lässt sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit jedenfalls nicht beantworten. Um zu entscheiden, ob die Ausgangssperre sowohl geeinigt, als auch das mildeste Mittel zur Erreichung des Zwecks ist, wird am Ende auf das Wort der Wissenschaft gehört werden müssen. Das allerletzte Wort hat am Ende allerdings das Bundesverfassungsgericht, dessen Ansicht mit Spannung erwartet wird.  

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