Handmade-Marktplatz

Etsy-Händler äußern Kritik an neuem Verkäufer-Star-Programm

Veröffentlicht: 23.08.2021 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 11.07.2022
Etsy-Logo auf einem Smartphone

Der Online-Marktplatz Etsy, der auf handgemachte Produkte und Vintage-Waren spezialisiert ist, hat kürzlich eine weitreichende Neuerung für Händler angekündigt: das sogenannte „Verkäufer-Star“-Programm („Star Seller“). Mithilfe dieses Programms möchte Etsy nach eigenen Aussagen Online-Händler auf seiner Plattform honorieren, die einen erstklassigen Service für ihre Kunden bieten.

„Die Auszeichnung als Verkäufer-Star ist eine Möglichkeit zur Anerkennung und Belohnung von Etsy-Verkäufern, die durchgängig ein hervorragendes Kundenerlebnis bieten“, schreibt das Unternehmen auf seiner Website. Händler, die die entsprechenden Kriterien zum Kundenservice erfüllen, werden mit einer besonderen Markierung versehen und erhalten dadurch einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten.

Etsy Star Programm Screenshot

So funktioniert das neue Verkäufer-Star-Programm von Etsy 

Welche Händler den Status eines Verkäufer-Stars erhalten, bestimmt Etsy ab September immer zu Beginn eines jeden Monats, also jeweils am Monatsersten. „Dazu schauen wir uns die Leistungen deines Shops in den vergangenen drei Monaten an.“. Konkret müssen Etsy-Händler in den Vormonaten folgende Kriterien erfüllt haben:

  • Antwortrate: Händler müssen ihren Kunden in 95 Prozent der Fälle innerhalb von 24 Stunden auf deren erste Nachricht antworten. Dies gilt konkret nur für die erste Nachricht, nicht aber für alle folgenden.
  • 5-Sterne-Bewertungen: Um sich zu qualifizieren, müssen Händler in 95 Prozent der Fälle eine 5-Sterne-Bewertung erhalten.
  • Versand: Beim Thema Versand müssen Händler nicht nur eine pünktliche Lieferung innerhalb der angegebenen Zeit gewährleisten, sondern ab einem Bestellwert von 10 Euro auch ein Versand mit Tracking bzw. Versandetiketten garantieren, die auf Etsy erworben wurden. Auch hier gilt die 95-Prozent-Regelung.
  • Bestellungen und Verkäufe: Innerhalb von drei Monaten (= Beurteilungszeitraums) müssen Etsy-Händler mindestens zehn Bestellungen sowie „ungefähr 300 USD Umsatz (vor Versand und Steuern) vorweisen können“. Zudem müssen sie seit ihrem ersten Verkauf mindestens 90 Tage bei Etsy präsent sein.

Grundsätzlich müssen Online-Händler keine Schritte ergreifen oder separate Anmeldungen durchführen, um am neuen Verkäufer-Star-Programm teilzunehmen. Laut Etsy funktioniert die Einstufung ganz automatisch: „Du musst dich nicht für das Verkäufer-Star-Banner bewerben. Wenn du die Voraussetzungen erfüllst, erhältst du deine Verkäufer-Star-Vorteile automatisch im darauffolgenden Monat, nachdem du dich qualifiziert hast“, heißt es auf der Website, auf der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für das Verkäufer-Star-Programm zu finden sind.

Händler, die sich für das Programm qualifizieren, sollen von zahlreichen Vorteilen profitieren können – etwa indem sie sich optisch durch den speziellen Banner von der Masse abheben. Auch sollen sie künftig mehr Möglichkeiten erhalten, sich vorzustellen und auf diese Weise mehr Sichtbarkeit erlangen sowie bessere Chancen auf mehr Umsatz erhalten.

Etsy Star Programm Vorteile Screenshot

Händler kritisieren automatisches System als ungeeignet

Nachdem Etsy das neue Programm vor wenigen Wochen vorgestellt hat, hatten die Handmade-Händler Zeit, sich mit den neuen Anforderungen auseinanderzusetzen. Aus der deutschen Community sind mittlerweile zahlreiche Händler-Stimmen zu hören, die teils von Verunsicherung, aber auch von Unverständnis zeugen. Konkrete Kritik kommt etwa aus der Facebook-Gruppe „Etsy & Co. – Tipps für Verkäufer im Onlinehandel“, die mehr als 3.500 Mitglieder zählt, von denen die meisten selbst einen hauseigenen Etsy-Shop betreiben. Sie sehen durch die Neuerungen auf dem Online-Marktplatz Fairness und Transparenz der Anbieter bedroht.

Die Kritikpunkte aus der Gruppe von Etsy-Händlern sind zahlreich und erstrecken sich über die verschiedenen Anforderungspunkte des neuen Verkäufer-Star-Programms. Unter anderem werden folgende Aspekte angeprangert:

  • Antwortrate: Eine verpflichtende Erstantwort an Kunden innerhalb von 24 Stunden berücksichtige viele Fälle aus der Praxis nicht: etwa wenn Etsy die Händler über Aktionen informiert oder Kunden „einfach ein Dankeschön an einen Verkäufer senden“. Solche Fälle würden in der Regel keine Antwort erfordern. Auch gebe eine schnelle Rückantwort keinen Aufschluss über die tatsächliche Qualität des Kundenservices.

    „Wir kritisieren weiterhin, dass Etsy offensichtlich erwartet, dass Verkäufer weder ein Wochenende haben, dass sie an Feiertagen arbeiten und dass sie keinen Urlaub machen“, heißt es weiter. Eine automatische Antwort an die Kunden, die Etsy an solchen Stellen empfiehlt, sei ihrer Meinung nach kein guter Kundenservice.

  • Bestellungen und Verkäufe: Da Händler innerhalb des genannten Dreimonatszeitraums mindestens 10 Verkäufe vorweisen müssen, schließt das Verkäufer-Star-Programm kategorisch solche Anbieter aus, die beispielsweise mit sehr teuren Waren, wie handgefertigten Möbeln, handeln, von denen sie aber aufgrund ihrer langen Herstellungszeit nur wenige verkaufen.

    „In der Regel handelt es sich um sehr arbeitsintensive Herstellungsprozesse und die hergestellten Produkte sind sehr langlebig und qualitativ sehr hochwertig. [...] Ein Verkäufer mit solchen Nischenprodukten würde also überhaupt nicht für die Auszeichnung für herausragenden Kundenservice infrage kommen. Generell halten wir die Anzahl der Verkäufe in einem bestimmten Zeitraum nicht für ein geeignetes Kriterium für die Qualität des Kundenservice“, heißt es aus der Facebook-Etsy-Gruppe.

Tracking-Pflicht als besonders problematisch

Besondere Probleme sieht die Händler-Gruppe offenbar auch beim Thema Versand, da die Verkäufer-Star-Auszeichnung einen Versand mit Tracking verlangt. „Versanddienstleister berechnen erhöhte Gebühren für Sendungen mit Tracking, die sich je nach Gewicht und Größe der Sendung stark erhöhen können. Wir sind der Meinung, dass es jedem Verkäufer selbst überlassen sein muss, ob er die erhöhten Gebühren tragen bzw. einpreisen kann.“

Erfahrungsgemäß ist es unter Handmade-Anbietern nicht unüblich, gerade kleinere Produkte auch mit Blick auf niedrige Versandangebote für die Kunden mittels Groß- und Maxibriefen oder aber über die Warenpost zu verschicken. Diese Praxis würde das neue System allerdings als unqualifizierte Sendungen kennzeichnen. Auch im Community-Bereich von Etsy berichten Händler, dass viele Kunden gar keine teuren Versandoptionen inklusive Tracking wünschen:

„Ich verschicke meine Ware in den meisten Fällen in Maxibriefkartons von der Größe eines Briefumschlags. Für normale Briefmarken gibt es kein Tracking. Ich biete zwar Prio Versand als Upgrade an, aber bislang hat noch niemand davon Gebrauch gemacht. Wie soll ich denn hier die 100 % erreichen?“, fragt eine Nutzerin.

„Da ich bestimmt 70 % meiner Bestellungen innerdeutsch per Großbrief also ohne Tracking verschicke (auch mal über 10 Euro), ist es für mich prozentual gesehen ziemlich irrelevant, ob die Tracking Infos von Etsy stimmen oder nicht. Ich werde vermutlich, wie auch viele andere, an diesem Punkt häufig ‚scheitern‘“, schreibt ein anderer User.

Ein ganz anderes Problem zeigt eine Händlerin auf, die ihren regionalen Kunden einen Abholservice anbietet: „Ich finde es sonderbar, dass beim Versand ‚fehlende Tracking Informationen‘ ein Grund für ‚Punktabzug‘ ist. Bei mir kommen tatsächlich Menschen direkt die Ware abholen – da bekommen sie natürlich keine Tracking Nummer… Es gibt auf jeden Fall Bedarf zum Nachbessern!!“

Tracking: Händler berichten von vermeintlichen Fehlern im System

Neben der Kritik an der Tracking-Pflicht berichten Händler von einem vermeintlich fehlerhaften System von Etsy, das nicht alle Trackingnummern auch als gültig anerkennt. „Die Liste, die Etsy zur Auswahl des Versanddienstleisters anbietet, umfasst bei Weitem nicht alle Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Ist der vom Verkäufer gewählte Versanddienstleister nicht in der Liste enthalten, muss der Verkäufer die Option ‚Other‘ wählen. Trägt er dann die Trackingnummer des gewählten Versanddienstleisters ein, so erkennt das automatisierte System nicht bzw. nicht immer die Trackingnummer an. Dadurch bewertet das System das Kriterium als nicht erfüllt, obwohl der Verkäufer mit Tracking versendet hat“, heißt es aus der Gruppe „Etsy & Co“. 

Viele Händler, die von ihren Erlebnissen im Community-Bereich berichten, zeigen sich ratlos und frustriert ob der vermeintlichen Systemfehler: „Wie kann es sein, dass mehrere Sendungen, die mit Trackingnummer und im Rahmen der Frist abgeschickt wurden, dennoch im Etsy-Versendungsbericht mit NO Abzugspunkten als nicht qualifiziert markiert sind? Ich kann mir das beim besten Willen nicht erklären. Trackingnummer da und rechtzeitig versendet. Gibt's eine Erklärung dazu von Etsy?“ Dabei scheinen sich die Erfahrungsberichte der Händler immer wieder zu gleichen:

„Habe mir den besagten Versendungsbericht von Etsy ebenfalls gerade angeschaut. Es ist ein derart unausgegorener Unsinn, dieser Bericht! Bei mir sind sogar mindestens 5 Sendungen mit NO markiert (also nicht rechtzeitig verschickt), für die eine Sendungsnummer (Einschreiben mit Trackingnummer und klar nachverfolgbar) nachweislich bei Etsy hinterlegt wurde. Ich frage mich, was das eigentlich soll? Sendungsnummer vorhanden, nachweislich rechtzeitig verschickt und trotzdem NO? Ich begreife das irgendwie nicht.“

Händler befürchten sinkende Umsätze

Während sich manche Händler in den Kommentaren ärgerlich oder resigniert zeigen, wird in der Facebook-Gruppe „Etsy & Co“ auch auf möglicherweise langfristig negative Folgen für Online-Händler verwiesen. Den Erwartungen zufolge werde Etsy die Star-Markierungen nicht nur auf der Shopseite der jeweiligen Händler, sondern auch in den Suchergebnissen präsent aufzeigen. „Möglicherweise räumt Etsy Verkäufern, die einen solchen Stern erhalten, auch außerhalb der anderen Ranking-Faktoren einen bevorzugten Platz in den Suchergebnissen ein. Darin sehe ich Nachteile für Verkäufer, denn aus Kundensicht wird ja weder gewusst noch hinterfragt, wie die Auszeichnung zustande gekommen ist“, heißt es dort. „Das hat natürlich sinkende Umsätze für Shops ohne Auszeichnung zur Folge.“

Zwar hat Etsy im Rahmen der Verkäufer-Star-Ankündigung auch darauf hingewiesen, dass Händler ihr Feedback zu den Neuerungen abgeben können, allerdings zeigen sich einige User unzufrieden mit dem Support, den der Marktplatz für sie bereitstellt. Zu lesen ist beispielsweise: „Ich würde zu gerne jemanden von Etsy erreichen können, um den Mist zu besprechen. Aber es gibt bis heute keine Möglichkeit einen deutschsprachigen Support zu erhalten. Und englischsprachiger Support ist entweder nicht in der Lage oder nicht willig etwas außer vorformulierter Bausteine zu antworten.“

Wir haben Etsy um ein Statement zur Lage und zur Kritik der Händler gebeten.

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