Gastbeitrag von Jeroen Gehlen

Resilienz stärken trotz Supply-Chain-Krise

Veröffentlicht: 28.01.2022 | Geschrieben von: Gastautor | Letzte Aktualisierung: 28.01.2022
Lieferketten

Stau an Häfen, Materialmangel und gestiegene Nachfrage

Zu Beginn der Covid-19-Pandemie mussten viele Fabriken in China schließen. Gleichzeitig rechneten zahlreiche Unternehmen mit einer gesunkenen Kaufkraft ihrer Kunden und entschieden sich, ihre Bestellungen zu kürzen. Doch trotz Prognosen blieb die Nachfrage nach Handelswaren hoch. Die Pandemie hat nämlich die Gewohnheiten der Verbraucher verändert: Viele Menschen waren auf einmal gezwungen, zu Hause zu bleiben und gaben weniger Geld fürs Ausgehen, Kinokarten oder andere Dienstleistungen aus. Stattdessen kauften sie Waren, die sie zu Hause nutzen konnten – wie Elektronik, Möbel oder Haushaltsgeräte. Jeder schafft sich sein eigenes Home-Office. Das Ergebnis: Eine sehr hohe Nachfrage nach materiellen Gütern, die zur Verstopfung von Transportwegen geführt hat.

Die aktuelle Krise hat deutlich gemacht: Moderne Lieferketten sind global verzahnt und damit anfällig für Nachfrageschwankungen. Das gestiegene Paketaufkommen hat die globale Infrastruktur überlastet. Da fast keine Passagierflugzeuge im Einsatz waren, war der Transport von Gütern auf dem Luftweg nur noch schwer möglich. Weil viele Schiffe an falschen Orten waren oder unter Quarantäne standen, konnten sie keine Container befördern. Auch nach dem Lockdown waren viele Fabriken nicht in der Lage, die Produktion auf ein höheres Niveau als vor Covid hochzufahren, was teilweise auf den Mangel an Arbeitskräften zurückzuführen war. Weitere Faktoren wie die steigende Inflation, der Mangel an LKW-Fahrer*innen sowie lange Wartezeiten an Häfen trugen zu der Krise in einer Branche bei, in der hohe Investitionen für den Betrieb erforderlich sind.

Wie können Unternehmen ihre Resilienz stärken? 

Solche Krisen werden uns in der Zukunft noch häufiger begegnen. Es bleibt ungewiss, wie lange die aktuelle Pandemie noch dauern wird. Die neuen Mutationen werden auch in den nächsten Monaten zu krankheitsbedingten Ausfällen, Schließungen und Schwankungen in Angebot und Nachfrage führen. Die Löhne werden steigen, was die Kosten für Unternehmen erhöhen wird. Die erhöhten Lieferkosten werden sich auf die Verbraucher auswirken. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Online-Waren weiter steigen – denn in Zukunft wird fast alles nach Hause geliefert. Traditionelles Einkaufen wird eher zur Freizeitbeschäftigung. 

Auch wenn das effiziente Management von Lieferketten eine enorme Herausforderung ist, sind große Krisen oft ein Treiber der Innovation. Die Covid-19-Pandemie hat bereits den sozialen und technologischen Wandel deutlich beschleunigt. Und die aktuellen Schwierigkeiten in der Supply Chain sind ein guter Grund, auf neue Lösungen zu setzen. Was können Unternehmen konkret tun, um ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken? 

  1. Cloud-basierte Logistikplattformen einführen 

Die Probleme in der Supply Chain lassen sich nur mithilfe der IT lösen. Heutzutage arbeiten alle am Online-Handel beteiligten Akteure – die Webshops, die Spediteure, die Frachtunternehmen und Warenempfänger – mit eigenen Systemen, die sich mit anderen Unternehmen oder Kunden nur schwer verbinden lassen. Diese lokalen Systeme sind oft veraltet und nicht skalierbar, bieten keine Updates in Echtzeit zu Lieferzeiten, enthalten Sicherheitslücken, sind nur schlecht mobil einsetzbar und machen es nötig, Daten manuell einzugeben. Im Gegensatz dazu sind moderne Logistikplattformen in der Lage, alle Partner über ein Netzwerk zu verbinden. Das kann die Effizienz und Pünktlichkeit bei Lieferungen deutlich steigern. Moderne SaaS-Anwendungen sind also eine Schnittstelle zwischen dem E-Commerce einerseits und der Logistik und Spedition andererseits. Die Plattformen vermitteln zwischen Onlinehändlern und Spediteuren, automatisieren Bestellungen sowie den Pick-und-Pack-Prozess und können sogar einen dynamischen Check-Out im E-Commerce anbieten. 

  1. Auf Automatisierung setzen

Der akute Personalmangel in der Lieferung und Spedition führt vor Augen, wie wichtig Automatisierung für die Zukunft der Branche ist. Bald werden Zustellroboter, autonome LKWs und vollautomatisierte Warenhäuser branchenüblich sein. Amazon ist Vorreiter in Sachen Lagerautomatisierung. Das Unternehmen hat weltweit große Fulfillment-Center gebaut, in denen Regale auf Rädern zum Einsatz kommen. In einem traditionellen Warenhaus Menschen oder Gabelstapler lange Strecken zurücklegen, um das passende Produkt zu finden. In den neuartigen Lagerhallen dagegen kann die Person stillstehen, während die Produkte auf sie zukommen. Die Artikel werden nach dem Zufallsprinzip über das ganze Lager verteilt, so dass der Kommissionierer nie weit von dem benötigten Artikel entfernt ist. Wenn bestimmte Produkte besonders gefragt sind, erkennen die Roboter dies und bleiben in der Nähe des Kommissionierers. Diese Lösung hat viele Vorteile: Man braucht keine Gabelstapler, die sehr gefährlich sein können, die Warenhäuser müssen nicht sehr hoch sein und brauchen keine Gänge, was die Lagerfläche insgesamt verringert.. Die Roboter sind leicht ersetzbar und können schnell repariert werden, im Vergleich zu Förderbändern und Hochregalstaplern.

Und auch wenn die Produkte das Lager verlassen, können sie dank Automatisierung schneller geliefert werden. Autonomes Fahren macht die Lieferketten zuverlässiger und effizienter. Momentan ist die sogenannte letzte Meile der teuerste Teil der Lieferkette und die Fahrer*innen sind für 80% der Kosten zuständig. Wenn Lieferwagen durch ein selbstfahrendes Fahrzeug ersetzt werden, sinken die Kosten für die letzte Meile auf 10%. Dadurch wird auch das Problem des Arbeitskräftemangels gelöst.

  1. Flexible Liefer- und Lagerungsoptionen ausprobieren

Abgesehen von flexiblen Lieferlösungen bedeutet Flexibilität auch Lagerung an mehreren Orten in der Nähe des Käufers. Zurzeit nutzen viele Unternehmen zentrale Lager, die oft weit vom Endverbraucher entfernt sind. Verteilt man die Waren jedoch in kleinen Lagern im ganzen Land, können die Lieferkosten und die Umweltbelastung reduziert werden. Außerdem ist man nicht auf ein einziges Transportunternehmen angewiesen und kann eine Vielzahl von Spediteuren einsetzen. Befindet sich das Lager ganz in der Nähe des Verbrauchers, kann ein Fahrradkurier die Waren in ihrer Produktverpackung liefern und so den Abfall reduzieren, da keine Umverpackung benötigt wird.

  1. Lokale Lieferung und Kooperation erweitern

Die aktuelle Krise hat viele zum Nachdenken über die wirtschaftliche Abhängigkeit von Produzenten in Asien gebracht. Ist es tatsächlich notwendig, alles importieren zu lassen? Kann lokale Lieferung eine bessere Option sein? Ja – Sie kann aber nur funktionieren, wenn lokale Zusteller sich zusammentun und gemeinsame Strategien entwickeln, um Leerfahrten und andere Ineffizienzen auf der letzten Meile der Lieferkette zu eliminieren. Cloud-basierte Logistikplattformen sind auch hier ein geeigneter Weg, Partner zu finden und Kollaborationen zu etablieren. So können kleinere Einzelhändler und lokale Transportunternehmen die gleichen Leistungen anbieten wie die Riesen Amazon oder Zalando.


Jeroen Gehlen

Über den Autor: Jeroen Gehlen ist Logistikexperte und Mitgründer des Transportmanagement-Dienstleisters und SaaS-Providers Wuunder. Er kann auf über 20 Jahre Erfahrung im Bereich Versand und Logistik zurückblicken und war zuvor bei TNT/FedEx als Global Director Pick-up & Delivery Optimization and Innovation tätig, wo er ein Framework für eine vollständig digitalisierte Plattform für die Echtzeitkommunikation entwickelte.

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