Themenreihe Logistik

Die Lebensader der Logistik – So lassen sich Lieferengpässe erkennen und vermeiden

Veröffentlicht: 19.04.2023 | Geschrieben von: Corinna Flemming | Letzte Aktualisierung: 08.05.2023
Lieferketten Konzept Tafel

Im März 2021 brauchte es nur einen feststeckenden Frachter und schon brachen zahlreiche Lieferketten auf der ganzen Welt zusammen. Der Vorfall der Ever Given, die eine Woche lang im Suezkanal feststeckte und damit den gesamten Schiffsverkehr durch eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt über mehrere Tage komplett lahmlegte, offenbart, wie anfällig die Lieferketten dieser Welt sind. Rund 400 Schiffe stauten sich auf beiden Seiten des Kanals, erhebliche Lieferverzögerungen von bis zu drei Monaten waren die Folge. 

Doch nicht nur Schiffsunglücke, auch die Coronakrise, der Ukraine-Krieg und die wirtschaftliche Situation haben die globalen Supply Chains in den letzten Jahren immer wieder strapaziert. „Die zwei größten Herausforderungen mit den schwerwiegendsten Auswirkungen sind zum einen die Inflation, die Folgen für beispielsweise Löhne und Mitarbeiterzufriedenheit hat, sowie ein wachsendes Streikpotenzial bei den Mitarbeitern verantwortet. Zum anderen sind die steigenden Energiekosten ein großes Thema: Viele Lieferanten produzieren auf Sparflamme, weshalb die finanzielle Schieflage zunimmt“, erklärt Mirko Woitzik, Director Intelligence Solutions bei Everstream, einem global agierenden Unternehmen für Lieferketten- und Risikoanalysen, die aktuellen Bedrohungen für die Lieferketten.

Einzelhandel leidet enorm unter Lieferproblemen

Besonders dramatisch ist die Lage weiterhin im Einzelhandel. Bereits im vergangenen Jahr beklagte ein Großteil der Unternehmen erhebliche Lieferengpässe, im März 2023 gaben noch immer mit 49 Prozent fast die Hälfte der Einzelhändler an, von Lieferproblemen betroffen zu sein. Das geht aus aktuellen Zahlen der Konjunkturumfrage vom ifo Institut hervor. Im Bereich Lebensmittel konnte zwar eine Entspannung verzeichnet werden im Vergleich zum Februar, allerdings berichten noch immer knapp 78 Prozent der Unternehmen von Engpässen. Gleichzeitig macht den Firmen die gesunkene Nachfrage der Kunden zu schaffen. Über 28 Prozent der in der Umfrage beteiligten Unternehmen gaben an, im ersten Quartal 2023 eine deutlich schwächere Nachfrage zu verzeichnen. „Die Lebensmitteleinzelhändler spüren, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher infolge der starken Verteuerung von Nahrungsmitteln ihr Einkaufsverhalten verändert haben. In der Tendenz kaufen die Kunden weniger Lebensmittel und wählen diese auch preisbewusster aus“, betont ifo-Experte Patrick Höppner. 

Ifo Studie Einzelhandel März 2023

Dennoch schauen die Experten vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Da die Lieferprobleme im Einzelhandel langsam nachlassen, dürften sich auch die Preisanstiege bei den Lebensmitteln im weiteren Verlauf des Jahres verlangsamen.

Aufbau eines diversifizierten Lieferantennetzwerks

Widerstandsfähige Lieferketten sind das A und O für viele Unternehmen, denn Engpässe können unter Umständen zu weitreichenden Folgen führen. Fehlen Rohstoffe oder andere Materialien für die Weiterverarbeitung, können Aufträge nicht erfüllt werden. Stornierte Aufträge, ausbleibende Folgeaufträge und Strafzahlungen können dadurch auf Unternehmen zukommen und im schlimmsten Fall sogar die komplette Existenz einer Firma bedrohen. Aus diesem Grund sollte man schon frühzeitig auf ein gut ausgebautes Liefernetzwerk setzen und sich eine breite Aufstellung an Schlüssellieferanten sichern. „Wenn Unternehmen ihre Versorgung auf zwei oder mehrere Lieferanten aufteilen, die im besten Fall noch geographisch verteilt sind, verringert sich das regionale Risiko von Lieferengpässen signifikant“, so der Rat von Mirko Woitzik. Auch die Diversifikation von Supply Chains kann bei der Materialbeschaffung oft äußerst hilfreich sein. Statt sich nur auf Lieferanten aus dem Ausland zu verlassen, kann unter Umständen auch ein regionaler Lieferant dabei helfen, Unternehmen bei möglichen globalen Problemen abzusichern.

Zusätzlich rät der Experte stets auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Lieferanten zu achten, hier hat die Corona-Pandemie bewiesen, wie wichtig ein gutes Verhältnis zwischen beiden Parteien ist. „Während dieser besonderen Umstände haben Unternehmen, die auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihren Toplieferanten gesetzt haben, wesentlich weniger mit Materialknappheiten zu kämpfen gehabt, da Lieferanten diese bevorzugt beliefert haben“, erklärt der Director von Everstream die Wichtigkeit von guten Beziehungen in solchen Ausnahmesituationen.

Künstliche Intelligenz und Prognosetools

Ist eine gute und verlässliche Lieferkettenstruktur erst einmal aufgebaut, gilt es, diese eng zu überwachen, um mögliche Risiken und Herausforderungen bereits frühzeitig zu erkennen. Ein gutes Bestandsmanagement, aber auch Prognosetools, wie Everstream dies anbietet, können dabei helfen, schon frühzeitig potenzielle Engpässe festzustellen und gezielt Schritte einzuleiten. Dafür wurden in den letzten Jahren auch künstliche Intelligenzen immer wichtiger. Diese zusammen mit automatisierten Bestellprozessen können Unternehmen einen entscheidenden Vorteil bringen, wenn Material aufgrund von unvorhergesehen Umständen knapp werden könnte. „Eine frühzeitige Erkennung von Risiken in der Lieferkette, wie beispielsweise ein herannahender Hurrikan, gibt Unternehmen einen zeitlichen Vorteil, der entscheidend sein kann. So kann rechtzeitig ein Vorrat im Inventar angelegt werden, falls es zu tagelangen Produktionsstörungen bei Lieferanten kommt, die im Einzugsgebiet des Hurrikans liegen”, erklärt Mirko Woitzik weiter. 

Ein internes Risikomanagement kann außerdem dabei helfen, mögliche Risiken, die sich auf die Supply Chain auswirken, stetig zu überwachen. Außerdem sollten für den Notfall verschiedene Pläne ausgearbeitet werden, die griffbereit und schnell umsetzbar sind, sollte es zu einer Logistikstörung oder einem Lieferantenausfall kommen.

Neue Lieferquellen benötigen Zeit

Entscheidend für den Erfolg eines jeden Unternehmens ist es, sich ein stabiles und gut funktionierendes Netzwerk an Lieferanten aufzubauen und entsprechende Notfallpläne parat zu haben, da das Ausweichen auf alternative Lieferquellen in den seltensten Fällen spontan möglich ist. Hier kommt es zwar immer auf die benötigten Rohstoffe an, allerdings lassen sich Lieferketten nicht von heute auf morgen neu aufbauen. So dauert es nach Aussage des Everstream-Experten in der Automobilbranche im Schnitt an die 18 Monate, um neue Lieferanten zu zertifizieren. Noch mehr Zeit wird in der Pharmaindustrie oder Medizintechnik benötigt, da in diesen Bereichen besondere regulatorische Auflagen eingehalten werden müssen. Deswegen sollten Firmen ihr Lieferantennetzwerk ausbauen und diversifizieren, noch bevor es zu Lieferengpässen kommt. „Nur so erreicht man die Agilität, bei aufkommenden Lieferengpässen auf alternative Lieferquellen auszuweichen”, fasst Mirko Woitzik zusammen.

 

Über die Autorin

Corinna Flemming
Corinna Flemming Expertin für: Internationales

Nach verschiedenen Stationen im Redaktionsumfeld wurde schließlich das Thema E-Commerce im Mai 2017 zum Job von Corinna. Seit sie Mitglied bei den OnlinehändlerNews ist, kann sie ihre Liebe zur englischen Sprache jeden Tag in ihre Arbeit einbringen und hat sich dementsprechend auf den Bereich Internationales spezialisiert.

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