Interview mit Klaus Engberding, CEO von EOS

„Immer weniger Menschen lernen, richtig mit Geld umzugehen“

Veröffentlicht: 09.12.2019 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 09.12.2019
Frau mit Zahlungskarte vor Laptop

Einer der wichtigsten Bereiche des Online-Handels ist nach wie vor der Payment-Sektor: Themen wie Zahlungsoptionen, Zahlungsmoral und Forderungsmanagement beherrschen den Alltag vieler Händler. Hinzu kommen wichtige Änderungen wie die neue Zahlungsdiensterichtlinie – kurz PSD2 – oder innovative Technologien wie etwa künstliche Intelligenz, die Unternehmen neue Wege und Potenziale eröffnen. Klaus Engberding steckt als CEO der EOS Gruppe mittendrin in der Materie und hat mit uns über aktuelle Entwicklungen im Payment-Bereich gesprochen.

OnlinehändlerNews: Im Rahmen der neuen EOS-Studie zu europäischen Zahlungsgewohnheiten konnte festgestellt werden, dass die Zahlungsmoral in Europa steigt. Verliert das Thema Forderungsmanagement daher an Bedeutung?

Klaus Engberding: „Gerade in Zeiten, in denen die Zahlungsmoral augenscheinlich gut ist, gilt es, wachsam zu bleiben. Denn trotz einer leichten Verbesserung rechnen Finanzexperten mit einer negativen Trendwende: In Deutschland erwarten 24 Prozent der Unternehmen in den nächsten zwei Jahren eine Verschlechterung der Zahlungsmoral, wie unsere Studie „Europäische Zahlungsgewohnheiten“ 2019 zeigt. 

Auch die Rezessionsrisiken weltweit steigen weiter. Gerade hat das Statistische Bundesamt dazu neue Zahlen veröffentlicht, wonach Deutschland im dritten Quartal mit 0,1 Prozent minimalem Wachstum nur ganz knapp der technischen Rezession entgangen ist. Glaubt man den Prognosen, wird das nicht so bleiben. In diesem Fall sind die Konsequenzen im Forderungsmanagement unmittelbar und zum Teil erheblich, was einen negativen konjunkturellen Trend weiter verstärkt. 

Ein Wirtschaftsabschwung erhöht die Anzahl säumiger Zahler und eine schlechtere Zahlungsmoral erhöht das Insolvenzrisiko für Unternehmen. Gerade kleinere und mittelständische Betriebe sind in solchen Fällen betroffen. Umso wichtiger wird das professionelle Forderungsmanagement. Mit Blick auf eine schwache Konjunkturentwicklung oder gar eine Rezession sollten die Unternehmen ihr Forderungsmanagement also professionalisieren, um bei einem Rückgang des Zahlungsniveaus den Cash Flow stabil zu halten.“

Das Verhältnis zum Geld hat sich verändert

4 von 10 Unternehmen setzen bei der Forderungsabwicklung ganz oder teilweise auf die Hilfe externer Dienstleister. Woran liegt das? Und worin bestehen heute die größten Herausforderungen in Sachen Forderungsmanagement?

„Externe Profis reduzieren den Anteil verspäteter oder nicht vollständig bedienter Forderungen erheblich. Bei deutschen Unternehmen zum Beispiel, die im letzten Geschäftsjahr auf externe Unterstützung im Forderungsmanagement gesetzt haben, wurden knapp zehn Prozent des Umsatzes durch die Dienstleister zurückgeführt. Dadurch sparen die Experten neben Kosten natürlich auch Ressourcen und schützen nicht zuletzt alle Seiten vor Reputationsschäden. 

Zu den größten Herausforderungen im Forderungsmanagement gehören sicherlich die rasante Weiterentwicklung durch die Digitalisierung sowie das veränderte Verhältnis zum Geld. Was Letzteres betrifft, stellen wir zunehmend fest, dass immer weniger Menschen lernen, richtig mit Geld umzugehen. Das erfordert einen zeitintensiveren Umgang mit säumigen Zahlerinnen und Zahlern. Gleichzeitig stellt sich mit Blick auf die Vielzahl möglicher Kommunikationswege die Frage nach dem richtigen Kanal sowie Zeitpunkt der Ansprache: Wann und wo ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass ich meine säumigen Kunden erreiche und zur Zahlung bewege? Helfen kann dabei der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI).“

Viele europäische Unternehmen stehen dem Einsatz von künstlicher Intelligenz im Bereich des Forderungsmanagements mit Skepsis gegenüber. Allerdings gibt es auch große Potenziale. Was genau kann KI verbessern?

„KI-gestützte Software kann das Forderungsmanagement an vielen Stellen nachhaltig optimieren. Dadurch lassen sich Prozesse automatisieren, digitalisieren und durch Daten individualisieren. Während deutsche Finanz-Entscheider laut unserer Studie mit nur 12 Prozent eher skeptisch sind, glauben europaweit 30 Prozent, dass KI die Fehlerquote im Forderungsmanagement revolutionär minimieren wird. 

Bei EOS arbeiten wir daran, mithilfe des richtigen Algorithmus die erfolgversprechendste Kontaktmöglichkeit für säumige Zahler auszuwählen. Durch kluge Datenanalyse schlägt das System zum Beispiel vor, ob der Kontakt je nach Kunde am ehesten per Brief, Anruf oder SMS erfolgen sollte. Gemäß den Reaktionen lernt das System dazu und schlägt im nächsten Schritt gegebenenfalls eine neue Vorgehensweise vor. Das ermöglicht unseren Mitarbeitenden künftig eine deutlich schnellere Bearbeitung. 

Darüber hinaus arbeiten wir an einer Plattform mit Machine-Learning-Algorithmen, die landesspezifisch Tausende von Inkassovorgängen auswerten und Muster erkennen. Welcher Inkassoschritt ist unter welchen Bedingungen besonders erfolgreich? Diese Erkenntnisse fließen zurück an die EOS Unternehmen in 26 Ländern. So nutzen wir Synergien und werden langfristig deutlich effizienter. 

Die Angst, KI werde den Menschen ersetzen, halte ich für unbegründet. Tätigkeiten werden eher sinnvoll ergänzt und interessanter gemacht, indem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anstelle von Routineaufgaben mit spannenderen und anspruchsvolleren Dingen beschäftigen können.“

„Unternehmen, die sich der Entwicklung nicht anpassen, gefährden ihre Wettbewerbsfähigkeit“

In den vergangenen Wochen hat die PSD2 in der Online-Welt für ganz schön viel Wirbel gesorgt. Wie schätzen Sie die Veränderungen im Handel (für Händler und Kunden) ein? 

„Nach Inkrafttreten der PSD2 hat sich aktuell nicht viel verändert. Die zweite finale Stufe wurde von der BaFin erstmal aufgeschoben. Doch das wird sich ändern. Zumal das neue Regelwerk gerade für den Handel viel Potenzial und zahlreiche Chancen bietet. Die sogenannte starke Kundenauthentifizierung wird im Zuge von PSD2 Pflicht: Kunden müssen bei Online- und Kartenzahlungen zwei Sicherheitsmerkmale bestätigen, zum Beispiel PIN und TAN. Der im Grunde so einfache und schnelle digitale Zahlungsverkehr wird sicherer gemacht und die Entwicklung innovativer Zahlungsmethoden dadurch hoffentlich beschleunigt. 

Wie wenig Fortschritt wir in diesem Bereich in Europa machen, zeigt unsere schon erwähnte Studie. Demnach bietet nur jedes dritte europäische Unternehmen digitale Bezahlmethoden an.

 EOS Infografik DigitaleZahlungsmethoden2019

Unternehmen, die sich dieser Entwicklung nicht anpassen, gefährden ihre Wettbewerbsfähigkeit. Sie sollten PSD2 zum Anlass nehmen, ihr Angebot zu erweitern. Sobald die Regelung final eingeführt wird, müssen die bestehenden Angebote ohnehin überprüft werden. Und die gute Nachricht für Händler: Was einfach und sicher ist, wird am Ende auch mehr genutzt. Zudem können auf diese Weise Zahlungsausfälle massiv reduziert werden.

Als professionelle Forderungsmanager sehen wir darin ein Multimillionen-Euro-Potenzial für den Handel. Cybersecurity ist nicht immer komfortabel – aber alternativlos. Wenn wir die E-Commerce-Innovationen der Zukunft wollen, die mit PSD2 möglich werden, führt kein Weg daran vorbei.“

„Der Handel sollte sich und seine Kunden vorbereiten, bevor er hinterherläuft.“

Zahlungsmethoden sind maßgeblich beteiligt, wenn es um die Zufriedenheit (oder Unzufriedenheit) von Online-Shoppern geht. Wie sollten sich Online-Händler hier Ihrer Meinung nach ausrichten?

„Gerade wir Deutschen stehen traditionellen und bekannten Dingen meist aufgeschlossener gegenüber als Innovationen und technischen Entwicklungen. Dazu zählen auch die digitalen Bezahlmethoden. Das bestätigen uns die vielen E-Commerce-Unternehmen unter unseren Kunden: Am liebsten zahlen die Deutschen weiterhin per klassischer Überweisung oder Rechnungskauf. Wir wollen die bestellte Ware gerne erst ausführlich begutachten bzw. anprobieren, bevor wir sie bezahlen. 

Das Problem für Händler: das bereits genannte hohe Ausfallrisiko. Um also digitale Bezahlmethoden zu fördern und die Angst vor neuen Bezahlformen zu nehmen, gilt es, die Kunden aufzuklären und im Prozess mitzunehmen. Trotzdem tut sich schon etwas. Die Bedeutung von Mobile Payment und die Nachfrage der Verbraucher nach neuen Bezahlformen nehmen zu. Das ist auch eine Generationsfrage. 

Die Jüngeren sind mit den Technologien und Innovationen unserer Zeit aufgewachsen und stellen viele Fragen gar nicht mehr. Während 2018 in Deutschland erst ein Prozent der Unternehmen mobiles Bezahlen ermöglichte, sind es ein Jahr später bereits sechsmal so viele. Einer der Gründe dürfte der Start von Apple Pay sein. 

Ein ähnliches Potenzial für den Online-Handel sehe ich beim Instant Payment, das zum Beispiel OTTO anbietet. Der Händler bekommt das Geld direkt bei Vertragsabschluss auf sein Konto und kann die Ware ohne das Risiko des Zahlungsausfalls verschicken. Ich denke, der Handel kommt um diese Entwicklung langfristig nicht mehr herum. Die genannten Vorteile, innovative Methoden und Vorreiterunternehmen werden den Druck Richtung digitaler Bezahlwege massiv erhöhen. Der Handel sollte sich und seine Kunden lieber frühzeitig darauf vorbereiten, bevor er hinterherläuft.“


KlausEngberding CEO EOS Gruppe

Über Klaus Engberding

Klaus Engberding ist seit 2017 Vorsitzender der Geschäftsführung der EOS Gruppe, einem führenden internationalen Unternehmen für die Bewertung und Bearbeitung von Forderungen. Das zur Otto Group gehörende Unternehmen betreut mit 7.500 Mitarbeitenden 20.000 Kunden vornehmlich aus dem Handel, der Banken- und Versicherungswirtschaft sowie dem Immobiliensektor.

Über die EOS Gruppe

Die EOS Gruppe ist einer der führenden internationalen Anbieter von individuellen Finanzdienstleistungen. Als Experte bei der Bewertung und Bearbeitung von Forderungen setzt EOS auf neue Technologien, um seinen rund 20.000 Kunden in 26 Ländern finanzielle Sicherheit durch smarte Services zu bieten. Schwerpunkt ist der Ankauf von unbesicherten und besicherten Forderungsportfolios. In einem internationalen Netzwerk von Partnerunternehmen verfügt die EOS Gruppe mit mehr als 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie mehr als 60 Tochterunternehmen über Ressourcen in über 180 Ländern. Hauptzielbranchen sind Banken, Versorgungsunternehmen, der Immobiliensektor sowie E-Commerce. EOS gehört zur Otto Group.

Über die Autorin

Tina Plewinski
Tina Plewinski Expertin für: Amazon

Bereits Anfang 2013 verschlug es Tina eher zufällig in die Redaktion von OnlinehändlerNews und damit auch in die Welt des Online-Handels. Ein besonderes Faible hat sie nicht nur für Kaffee und Literatur, sondern auch für Amazon – egal ob neue Services, spannende Technologien oder kuriose Patente: Alles, was mit dem US-Riesen zu tun hat, lässt ihr Herz höherschlagen. Nicht umsonst zeigt sie sich als Redakteurin vom Dienst für den Amazon Watchblog verantwortlich.

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