Beschluss des OLG Hamm

Abmahnung als PDF-Anhang einer E-Mail geht erst mit Öffnung zu

Veröffentlicht: 11.04.2022 | Geschrieben von: Melvin Louis Dreyer | Letzte Aktualisierung: 06.07.2022
Spam-Ordner in E-Mail-Postfach

Dass Online-Händler Abmahnungen nur per Post erhalten können, ist ein Irrglaube. Wettbewerbsrechtliche Abmahnungen sind formfrei, sie können auch per E-Mail versendet oder am Telefon ausgesprochen werden. In dem Fall, mit dem sich kürzlich das Oberlandesgericht Hamm zu befassen hatte, fand sich die Abmahnung als PDF-Anhang in einer E-Mail (Beschluss v. 09.03.2022, Az. 4 W 119/20). Der abmahnte Online-Händler reagierte nicht, der klagende Online-Händler erwirkte sodann eine einstweilige Verfügung vor Gericht. Die Kosten dafür sollte der abgemahnte Händler tragen, wogegen er sofortige Beschwerde einlegte – mit Erfolg: Die Abmahnung sei ihm nämlich gar nicht zugegangen, sodass kein Anlass zur Klageerhebung bestand. 

E-Mail-Anhang nie geöffnet, also Abmahnung nie erhalten?

„Sehr geehrter Herr B, bitte beachten Sie anliegende Dokumente, die wir Ihnen situationsbedingt zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung stellen. MfG C“, hieß es in der E-Mail, die der Anwalt des Klägers am 19.03.2020 an den beklagten Online-Händler verschickt hatte. Darunter fanden sich die Kontaktangaben des Rechtsanwalts sowie zwei PDF-Dateien als Anhänge. Die Datei mit der Bezeichnung „2020000067EU12984.pdf“ enthielt ein anwaltliches Abmahnschreiben betreffend lauterkeitsrechtliche Rechtsverstöße, die Datei mit dem Titel „Unterlassungs.pdf“ wiederum enthielt den Entwurf einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Am 1. April 2020 folgte eine zweite E-Mail durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers: „Sehr geehrter Herr B, zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 03.04.20.MfG C“.

Wenige Tage später erließ das Landgericht Bochum auf den Antrag des Klägers hin per Beschluss eine einstweilige Verfügung gegen den beklagten Online-Händler, samt einer Kostenentscheidung zu dessen Nachteil. Gegen diese Kostenentscheidung legte der Beklagte Widerspruch ein: Von den beiden E-Mails habe er gar keine Kenntnis erlangt. Er könne nicht ausschließen, dass die beiden Nachrichten im Spam-Ordner gelandet seien – was er auch nicht überprüfen könne, da dessen Inhalt nach jeweils zehn Tagen automatisch gelöscht werden würde. Das Landgericht allerdings bestätigte die einstweilige Verfügung hinsichtlich der Kosten, und erlegte dem abgemahnten Beklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auf. Auch hiergegen ging der Beklagte vor und legte sofortige Beschwerde ein – mit Erfolg. 

OLG Hamm: Kosten muss Abmahner selbst tragen

Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass die Kosten des Rechtsstreits nicht etwa durch den beklagten Händler, sondern durch den Kläger zu tragen seien. Was dahinter steckt? Laut der Zivilprozessordnung muss der Kläger die Prozesskosten tragen, wenn der Beklagte dessen Anspruch sofort anerkennt und durch sein Verhalten keinen Anlass zur Erhebung der Klage gegeben hat. Was bedeutet das? Angenommen, der Abmahner mahnt ab, die Abmahnung geht dem Abgemahnten auch zu, aber dieser reagiert nicht. Geht der Abmahner dann vor Gericht, müsste grundsätzlich der Abgemahnte (bzw. der Beklagte) die Prozesskosten tragen, auch wenn er den Anspruch sofort anerkennt – mit dem Ignorieren der zugegangenen Abmahnung dürfte er nämlich Anlass zur Erhebung der Klage gegeben haben. Andersherum macht es diese Regelung für Abmahner sinnvoll, tatsächlich erst abzumahnen und erst dann gegebenenfalls gerichtlich vorzugehen. Bleibt die Abmahnung nämlich aus, es geht vor Gericht und der Beklagte erkennt hier den Anspruch des Klägers sofort an, müsste der Kläger die Prozesskosten tragen. 

Argument: Virengefahr bei E-Mail-Anhängen

Welche Rolle spielt das nun in diesem Fall? Das OLG Hamm ist im Beschluss der Auffassung, dass der abgemahnte und beklagte Händler eben keinen Anlass zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung gegeben habe und dass man ihm hier insbesondere nicht vorwerfen könne, nicht auf die Abmahnung des Klägers reagiert zu haben. Das Schreiben sei dem Beklagten nämlich nie zugegangen. „Wird – wie im vorliegenden Falle – ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat“, heißt es im Beschluss. Es könne vom Empfänger in solch einem Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen, da wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt werde, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen.

Ob die E-Mail im konkreten Fall überhaupt im Postfach des Beklagten, und dort möglicherweise im Spam-Ordner, gelandet seien, könne dahinstehen. Jedenfalls habe der Beklagte glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails keine Kenntnis erlangt hatte. Nach dem Leitsatz des Gerichts ist ein Abmahnschreiben, das lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versendet wird, in der Regel nur und erst dann zugegangen, wenn der Empfänger den Anhang auch tatsächlich geöffnet hat. 

Abmahnungen – Was bedeutet der Beschluss für Online-Händler? 

Kann ein Online-Händler nun den Brief mit der Abmahnung einfach ungesehen entsorgen und muss keine Konsequenzen befürchten, weil die Abmahnung ja so nicht zugegangen ist? Nein. Eine Erklärung wie eine Abmahnung ist grundsätzlich dann zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er Kenntnis nehmen kann und unter den normalen Umständen auch mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist – es kommt also auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme an. Als Empfänger kann man den Zugang eines Schreibens so zum Beispiel grundsätzlich nicht dadurch hinauszögern, dass man den Brief im Briefkasten liegen lässt oder ihn nicht öffnet. Ist die Abmahnung zugegangen und der Empfänger reagiert nicht, dürfte er damit grundsätzlich Anlass geben, den gerichtlichen Weg zu beschreiten. 

Aber auch auf Abmahnungen, die außergewöhnlicher Weise tatsächlich ausschließlich per E-Mail versendet werden, sollte dieser Beschluss nicht blindlings übertragen werden. So lässt die knappe Begründung im Beschluss sicherlich Raum zur Diskussion und für andere juristische Einordnungen. Zudem, ganz abgesehen davon, dass die Entscheidung nur den konkreten Fall betrifft, könnte die Rechtslage schon wieder ganz anders aussehen, wenn die Abmahnung direkt in der E-Mail verfasst ist – schließlich greift das Argument der Virengefahr bei E-Mail-Anhängen dann schon weniger gut.

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