Themenreihe Marktplätze

Breite ist nicht alles: Nischenmarktplatz Avocadostore im Interview

Veröffentlicht: 10.10.2023 | Geschrieben von: Ricarda Eichler | Letzte Aktualisierung: 08.11.2023
Screenshot vom 04.10.2023 / Avocadostore

Dieser Artikel ist Teil unserer Marktplatz-Themenreihe: Diese beleuchtet in verschiedenen Beiträgen nicht nur wichtige Zahlen und Fakten von Amazon, Ebay und Co., sondern stellt Händlerinnen und Händlern auch Tipps rund um Marketing, Anzeigen, SEO oder Internationalisierung auf Marktplätzen bereit. Außerdem finden sich Erfahrungsberichte und Interviews zu spezifischen Online-Plattformen wie Temu, Wish und Shein.
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Das Konstrukt Marktplatz hat viele Vorteile. Mit einer breiten Auswahl an Produkten findet die Kundschaft schließlich fast alles, was sie sucht – und dank unabhängiger Shops haben Marktplatzbetreiber idealerweise kaum noch etwas zu tun. Idealerweise –  Denn ein Thema, welches wahrscheinlich alle Marktplatzbetreiber beschäftigt, ist das der Kontrolle. Ein wenig davon ist schließlich notwendig, um ein vergleichbares Einkaufserlebnis zu erzeugen. 

Doch wie sieht es aus, wenn ein Marktplatz kontrollieren will, welche Produkte verkauft werden dürfen? Ist das dann noch ein freier Marktplatz? Deutlich wurde das Problem vor allem letztes Jahr, als Kaufland einen Shitstorm für den Vertrieb von Hitlers „Mein Kampf” und weiterer nationalsozialistischer Paraformalien erntete. Klar kamen diese dabei „nur” von einem dort agierenden Handelsunternehmen, aber es warf die Frage auf, ob ein gänzlich freier Marktplatz nicht auch Risiken birgt.

Ganz anders geht es dagegen Avocadostore an. Der Nischenmarktplatz hat es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem umweltverträgliche, faire und vegane Produkte anzubieten. Anhand von zehn Avocadostore-Kriterien wird ausgewählt, welche Handelsunternehmen hier verkaufen dürfen. Wie das gelingt und wo auch hierbei Probleme auftreten, verrrät uns Mimi Sewalski, Head of Marketing bei Avocaostore, im Interview.

„Als Marktplatz bieten wir kleinen Shops Synergieeffekte” 

Onlinehändler News: Avocadostore gibt es schon seit über 10 Jahren. Erinnert ihr euch an die Anfänge: Wie einfach war es damals Händler:innen zu finden, die dem Vertrieb auf einem neuen Marktplatz, so ganz abseits Amazon, eine Chance gaben?

Mimi Sewalski: Zu Beginn haben wir viel Akquise gemacht und haben quer über die Kategorien versucht, möglichst viele unterschiedliche Anbieter:innen anzusprechen. Die Erfolgsquote war erstaunlich, denn viele hatten bereits Ladengeschäft und manche sogar einen Onlineshop. 

Aber die Schwierigkeit für viele ist es bis heute, Traffic in den Shop zu bekommen oder ihre Marke bekannter zu machen. Avocadostore als Marktplatz kann da die Synergieeffekte viel besser nutzen und die Anbieter:innen, können sich auf ihre Produkte konzentrieren. 

Wie viele Shops verkaufen mittlerweile bei euch? 

Momentan verkaufen bei uns knapp1.350 Anbieter:innen mit über 500.000 Produkten. Wir haben hier leichte saisonale Schwankungen, weil man bei uns auch für eine Weile kostenfrei pausieren kann. 

Von Mode über Möbel bis hin zu Geschenken

Welche Produktschwerpunkte deckt ihr aktuell ab und welche wollt ihr ggf. zukünftig noch aufnehmen?

Unsere stärkste Kategorie ist Mode, insbesondere Damenmode. Wir sehen aber auch, dass unsere Kategorien Wohnen & Leben, und Geschenke noch viel Potenzial bergen. Was bei uns immer sehr gut funktioniert, sind Produkte, die einfache, nachhaltige Alternativen zu herkömmlichen Produkten darstellen, wie z. B. der „to go – Mehrwegbecher“ oder Trinkflaschen. Wir hoffen sehr, dass da noch viele weitere Innovationen auf den Markt kommen. 

Wie prüft ihr, dass die bei euch verkaufenden Shops auch voll und ganz euren Nachhaltigkeitskriterien entsprechen?

Das mag jetzt einige überraschen, aber wir prüfen nicht – wir sind keine Stiftung Warentest oder ein Ökotest. Wir treffen eine Vorauswahl und achten auf unsere Standards in den jeweiligen Kategorien. Aber dann ist uns vor allem wichtig, dass ein Produkt eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Produkten darstellt. 

Anbieter:innen müssen sich bei uns bewerben und ein Nachhaltigkeitsstatement ausfüllen, anhand dessen wir entscheiden, ob wir die Marke aufnehmen. Dann betrachten wir zusätzlich bei jedem Produkt, das hochgeladen wird, welche der von uns aufgestellten zehn Nachhaltigkeitskriterien ausgefüllt sind und ob sie sinnvoll ausgefüllt sind. 

Nachhaltigkeit kann etwas Subjektives sein

Nachhaltigkeit ist aus unserer Sicht nicht schwarz oder weiß und auch oft subjektiv. Deswegen ist für uns die Transparenz wichtig. Nachdem wir eine Vorauswahl getroffen haben, wollen wir unseren Kund:innen Orientierung geben, in dem da z. B. nicht nur ein grünes Icon am Produkt „klebt“, sondern wir wollen darstellen, warum das Produkt konkret das Icon des Kriteriums bekommen hat. 

Und weil uns das auch noch nicht ausreicht, haben Kund:innen auch die Möglichkeit am Produkt Feedback zu geben, welches direkt an die Händler:innen weitergeleitet wird. Bei uns verkaufen auch viele kleinere Labels, die es sich noch nicht leisten können, ein Siegel zu bekommen. Deswegen können wir uns nicht nur auf Siegel verlassen, sondern betrachten ein Label bzw. ein Produkt ganzheitlich. Wir hoffen so auch die Dynamik von nachhaltiger Innovation abbilden zu können und die Latte für Nachhaltigkeit Stück für Stück noch höher legen zu können. 

Klare Kommunikation mit Kundschaft und Shops

Wie handhabt ihr es, wenn ihr im Nachgang feststellt, dass ein freigegebener Shop doch nicht ganz mit euren Kriterien im Einklang handelt?

Das ist bisher erst einmal passiert, ist aber etwas, mit dem man in jeder Branche rechnen muss. Wir haben hier ein klares Vorgehen: Wir sprechen zuerst einmal mit der Marke selbst und nehmen das Produkte so lange von der Seite, bis der Verdacht entweder ausgeräumt ist und das Produkt wieder online gehen kann oder sich der Verdacht bestätigt. 

Im letzteren Fall nehmen wir das Produkt selbstverständlich von der Seite und je nach Produktart/Kategorie finden wir es nur fair, wenn wir es auch in unserer Kommunikation transparent machen. 

Ein eigenes Avocadostore-Fulfillment? Zumindest eine Option

Welche Anforderungen stellt ihr an Shops hinsichtlich nachhaltiger Verpackungsmaterialien und Versandwege?

Unsere Anbieter:innen sind sehr unterschiedlich. Wir haben Designer:innen mit Werkstätten, erfolgreiche Modelabel, Quereinsteiger, Ladengeschäfte oder auch innovative Start-ups. Hinzu kommt, dass wir in sehr vielen Kategorien Produkte anbieten, es ist schwierig eine Lösung für alle zu finden. 

Was wir aber können, ist unser Netzwerk zu nutzen, Best Practice Lösungen auszutauschen und schon beim Onboarding unsere Learnings mit neuen Anbieter:innen weiterzugeben. 2020 haben wir beispielsweise Mehrweg-Verpackung getestet und unsere Ergebnisse geteilt. Es herrscht ein ständiger Austausch, das Thema nachhaltige Verpackung ist definitiv etwas, was den Onlinehandel momentan beschäftigt, egal ob Marktplatz oder Onlineshop. 

Bietet ihr Händler:innen auch die Möglichkeit eines Fulfillments über euch, oder erwägt einen derartigen Schritt für die Zukunft?

Wir finden die Idee super und haben dafür auch schon Konzepte entwickelt. Momentan ist es aber noch nicht unser Fokus, sondern eher ein Projekt für die Zukunft. Wir bringen aber schon jetzt Anbieter:innen mit Logistiker:innen zusammen, der Sache wegen, d. h. wenn die Nachhaltigkeit davon profitiert. 

Bei Avocadostore sind nicht nur die Produkte nachhaltig

Unabhängig vom Nachhaltigkeits-Fokus: Inwiefern unterscheidet sich Avocadostore von anderen Marktplätzen wie Amazon, Ebay oder Kaufland?

Zum einen gibt es bei uns ausschließlich nachhaltige Produkte, d. h. wir sind klar ein Nischen-Marktplatz und Kund:innen müssen nicht aufwendig nach grünen Alternativen filtern, sondern wissen, alles, was bei uns gezeigt wird, ist schon mal nachhaltig. 

Außerdem sind wir natürlich insgesamt kleiner, sowohl was die Anzahl der Mitarbeitenden, aber auch den Umsatz angeht. Der wichtigste Unterschied für unsere Kund:innen ist aber, dass wir das Thema Nachhaltigkeit nicht nur in den Produkten abbilden, sondern auch als Unternehmen. 

Wir beziehen Ökostrom, versuchen unsere Büromaterialien möglichst nachhaltig zu beziehen, wir trinken fairen Kaffee, kein Wasser aus Flaschen, sondern Leitungswasser aus Karaffen und legen sehr viel Wert auf einen guten und sozialen Umgang miteinander. Ich könnte hier noch viele Beispiele aufzählen, aber in einem Satz zusammengefasst: In allem, was wir tun, suchen wir immer die nachhaltige Alternative. 

Ein Marktplatz ist nur gut, wenn das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage stimmt.

Amazon deckt mittlerweile einige Produktsparten mit Eigenmarken ab – war so etwas für euch jemals Thema?

Auf jeden Fall immer mal wieder. Wir sind auch selbst Anbieter auf dem eigenen Marktplatz, aber bisher leider noch nicht mit eigenen Produkten. Aufgrund unseres starken Wachstums (bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges) haben wir sortimentsergänzend eingekauft. Dabei haben wir zusätzlich in die Tiefe oder auch in die Breite geschaut. So fanden wir Produkte, von neuen Marken, oder aus dem europäischen Ausland, die wir noch nicht im Sortiment hatten, die aber die nachhaltige Vielfalt sehr gut widerspiegeln. 

Wir wollen unseren Anbieter:innen keine Konkurrenz machen, sondern wollen das Angebot attraktiv halten. Ein Marktplatz ist nur gut, wenn Angebot und Nachfrage in einem guten Verhältnis stehen. Die Wachstumsschmerzen und die dahinterstehende Priorisierung sind auch der Grund, warum wir noch keine eigene Produktion gestartet haben.

Rabattschlachten setzen falsche Konsumanreize

Welche Rolle spielt das Thema Advertising bei Avocadostore?

Advertising spielt eine sehr wichtige Rolle für Avocadostore. Primär sind wir auf digitalen Marketingkanälen unterwegs, so dass kein Medienbruch entsteht. Der Fokus liegt auf der Vermarktung der Produkte und Marken unserer Händler:innen, hier profitieren wir enorm von unserer Vielfalt. Außerdem wollen wir natürlich die Bekanntheit der Marke Avocadostore erhöhen, auch gerne außerhalb der Nachhaltigkeits-Nische, um möglichst viele Menschen für das Thema zu begeistern. 

Wir verzichten ganz bewusst auf Rabattschlachten wie z. B. Black Friday, weil wir glauben, dass diese falsche Ansätze für ein nachhaltiges und bewusstes Konsumverhalten sowie für ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell sind. Last but not least: Content und Social Media sind ebenfalls sehr wichtige Kanäle für uns, weil wir hier auch Themen, Ideen und Tipps spielen können und neben den Produkten auch zu einem nachhaltigen Lebensstil inspirieren wollen.

Das wandelhafte Image der Avocado macht sie zum perfekten Namensgeber 

Die Avocado galt vor einigen Jahren noch als Sinnbild für Nachhaltigkeit, der gute Ruf hat mittlerweile aber stark nachgelassen. Wenn ihr euch heute rebranden würdet, wie würde der Laden heißen?

Warum nennt sich ein nachhaltiger Marktplatz nach einer Frucht, die für ihren hohen Wasserverbrauch im Anbau und ihre langen Transportwege bekannt ist? Als Avocadostore gegründet wurde, wusste kaum jemand, dass die Avocado keine sehr klimafreundliche Frucht ist. Sie war damals die Symbolfrucht der Ökobewegung in den USA, denn sie ist aufgrund ihrer „guten Fette“ sehr gesund und eignet sich perfekt für eine vegane Ernährung, die wiederum gut fürs Klima ist. 

Übrigens wusste 2010 auch kaum jemand in Deutschland, was „vegan“ bedeutet. Die Avocado ist außerdem eine sehr sympathische Frucht, die außen und innen grün ist und einen ziemlich harten Kern hat. Deswegen haben wir sie zur Namensgeberin auserkoren.

Zugegeben, wir würden Avocadostore heute vielleicht anders nennen. Aber gerade, weil die Avocado aufgrund ihrer Klimabilanz in einem Widerspruch zum Nachhaltigkeitsgedanken steht, ist sie ein großartiges Beispiel dafür, dass Nachhaltigkeit ein sehr komplexes Thema und daher immer ein Diskurs ist. Je nach Wissen und Komplexität der Fakten, kann sich eine Beurteilung schnell verändern. Erst, wenn man die nötigen Informationen hat, versteht man das große Ganze. Aus diesem Grund wird Avocadostore auch weiterhin so heißen, denn Avocadostore führt diesen Diskurs gerne.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Artikel ist Teil unserer Themenreihe Marktplätze. Eine Übersicht über die wichtigsten Plattformen, Erfahrungsberichte und weitere Artikel zu verschiedenen Marktplatzthemen findet ihr auf unserem Themen-Hub zur Reihe! >> Zur Themenreihe Marktplätze

Über die Autorin

Ricarda Eichler
Ricarda Eichler Expertin für: Nachhaltigkeit

Ricarda ist im Juli 2021 als Redakteurin zum OHN-Team gestoßen. Zuvor war sie im Bereich Marketing und Promotion für den Einzelhandel tätig. Das Schreiben hat sie schon immer fasziniert und so fand sie über Film- und Serienrezensionen schließlich den Einstieg in die Redaktionswelt.

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