Künstliche Intelligenz in Handel und Logistik

„In ein paar Jahren verzichtet kein Händler auf KI”

Veröffentlicht: 12.05.2020 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 23.06.2023
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„Künstliche Intelligenz“ – das klingt für zu viele Menschen immer noch nach Zukunft und dank der Popkultur nach keiner besonders erstrebenswerten. 1968 schuf Stanley Kubrick mit seinem HAL 9000 in „2001: A Space Odyssey“ die Blaupause für die böse, menschenmordende künstliche Intelligenz – oft kopiert, selten erreicht. 1999 degradierten die Maschinen die Menschheit zu Batterien und ließen sie in der „Matrix“ ihr virtuelles Leben leben. Und 2020 entführt uns die Serie „Westworld“ in eine gar nicht so ferne Zukunft, in der nicht nur künstliche Menschen nach dem Sinn des Lebens fragen, sondern eine Super-KI quasi die Zukunft der Menschen prognostiziert, plant und nötigenfalls anpasst. Und gerade die Westworld-Variante wirkt beunruhigend nah an unserer Lebensrealität.

Künstlicher Intelligenz haftet auch heute noch etwas Unheimliches, etwas schwer Greifbares an, weil oft eine Komplexität suggeriert wird, die ja über das menschliche Verständnis hinausgehen muss. Gleichzeitig nutzen wir alle Smartphones mit KI-Assistenten, shoppen auf von Algorithmen getriebenen Online-Marktplätzen, lassen uns von Google Maps den kürzesten Weg inklusive aktueller Stau-Umfahrung zeigen und arbeiten mit KI-basierter Buchhaltungssoftware. KI spielt schon heute im privaten wie im beruflichen Leben eine große Rolle, ohne, dass man es auf den ersten Blick sieht. Und genau das ist der springende Punkt.

Wie künstliche Intelligenz als Faktor zur Optimierung ganz verschiedener Bereiche eingesetzt werden kann, zeigen zwei aktuelle Beispiele von MediaMarkt und KPMG. Gemein ist beiden letztlich: Das Ziel ist die Prozessoptimierung.

Einsatz von KI bei Automatisierung und Prognosen

KPMG hat kürzlich eine Kooperation mit dem Cloud-Unternehmen Blue Yonder bekanntgegeben. Die KI-Plattform von Blue Yonder wird bei ausgewählten Kunden implementiert, Ziel ist dabei die Digitalisierung von Lieferketten. Der KI-Algorithmus soll mögliche Störungen in Lieferketten identifizieren und vor allem: prognostizieren. So sollen nicht nur Lieferengpässe vermieden, sondern der gesamte Liefervorgang schneller, transparenter, kostengünstiger, flexibler und weniger fehleranfällig gestaltet werden.

„Viele haben nicht die Zeit, nicht die Ressourcen und nicht das notwendige Know-how, solche Projekte umzusetzen“, erklärt Gabriel Werner, Vice President Solutions Advisory bei Blue Yonder. Blue Yonder arbeitet bereits u. a. mit Kaufland, Galeria Karstadt Kaufhof oder Otto zusammen und unterstützt die Konzerne zum Beispiel bei der Optimierung ihrer Regal- und Lagerbestände – mittels KI. Bei der Arbeit von und mit KI gehe es „immer um Wahrscheinlichkeiten und um Prognosen, basierend auf historischen Daten“, so Werner. Auf Basis dieser Prognosen sei die Technologie dann in der Lage, automatisiert Entscheidungen zu treffen. „Das können Bestellmengen sein, aber auch Endverbraucherpreise. In der Logistik sind solche Entscheidungen ebenfalls relevant. Falls sich eine Lieferung verspätet, kann das System selbstständig Maßnahmen ergreifen und Warenströme umleiten.“

Sinnvolle Digitalisierung und KI-Unterstützung ermögliche den Unternehmen, auf einen sich ändernden Marktbedarf zu reagieren, ergänzt Kaveh Taghizadeh, Consultant für Value Chain Transformation bei KPMG Deutschland. „Aus meiner Erfahrung liegt ein bedeutender Vorteil darin, die Komplexität der Supply Chains im Handel zu beherrschen.“ Wie aufwändig die Umstellung auf ein KI-gestütztes System ist, sei dabei abhängig vom jeweiligen Unternehmen. „Es hängt immer vom Zustand der Daten ab. Die Datenbasis ist eigentlich bei allen vorhanden, nur sind die Daten über das ganze Unternehmen verteilt“, erklärt Gabriel Werner.

MediaMarkt nutzt KI für Produktbeschreibung im Webshop

Künstliche Intelligenz kann Unternehmen effizienter machen, sie wird aber auch für bessere Kundenerlebnisse genutzt. MediaMarkt nutzt KI für die Produktbeschreibungen in den Online-Shops. Die Software dafür liefert das Berliner Unternehmen Retresco, sie basiert auf dem Prinzip der Natural Language Generation (NLG). Vereinfacht gesagt, beschreibt dies die Übernahme strukturierter Daten und deren Umwandlung in Text, denn auch die automatische Erzeugung natürlicher Sprache ist ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz. „Je mehr Produkte ein Online-Shop enthält, desto aufwändiger ist die redaktionelle Erstellung von einzigartigen Produktbeschreibungen. Automatische Textgenerierung sorgt für signifikante Effizienzsteigerungen im gesamten Prozess der Contentproduktion“, erklärt Florian Spengler, zuständiger Projektleiter bei Retresco.

Bei MediaMarkt war das Problem vorher nicht nur die fehlende Variabilität in den Produktbeschreibungen, wie Unternehmenssprecherin Eva Simmelbauer erläutert: „Eine Vielzahl von Produkten aus dem Kernsortiment und Nischenprodukte hatten in unseren Online-Shops noch keine Detailbeschreibungen. Für diese Produkte standen dem Kunden lediglich Abbildungen und Datentabellen zur Verfügung. Durch den Einsatz der Text-Engine konnten wir unseren Kunden gerade in diesem Bereich deutlich mehr textliche Produktbeschreibungen zur Verfügung stellen.“ Das hilft nicht nur den Kunden bei der Suche nach dem passenden Produkt, das hilft auch MediaMarkt, zum Beispiel im SEO-Bereich, für den die Produktbeschreibung nicht ganz unwichtig ist.

In manchen Bereichen ist der Mensch noch besser als die KI

Als Redaktionen ersetzendes Wundermittel will man die KI-Technologie aber nicht verstanden wissen. Einerseits soll sie das Team bei der redaktionen Arbeit unterstützen. Und andererseits hat die KI Grenzen, wie Simmelbauer klarstellt: „Die Produkttexte von Topsellern und Artikeln mit einem besonders großen Erfolgspotenzial werden nach wie vor manuell erstellt. Oftmals sind diese Texte besonders emotional und teilweise in Abstimmung mit den Herstellern geschrieben, das kann eine Text-Engine auf NLG-Basis so nicht leisten.“ 

Bei den Produkttexten ist aber noch nicht Schluss. MediaMarkt setzt künstliche Intelligenz etwa auch beim Pricing ein und testet aktuell eine Lösung, „die die Nachfragemuster der Verbraucher analysiert und diese in Korrelation zu den Verkäufen einzelner Produkte in den Märkten setzt“. Auch hier geht es letztlich um das Prognostizieren von künftigem Verhalten. Nur eben nicht in Lieferketten, sondern in der Verbrauchernachfrage und im Verkauf.

KI-Verzicht ausgeschlossen

Das sind nur zwei Beispiele in einem sich immer mehr der Digitalisierung öffnenden Deutschland. In einer Umfrage des Software-Herstellers BSI und von AI-Zürich sahen 61 Prozent der großen Unternehmen die Automatisierung als dominierenden Trend, wie iBusiness schreibt. Bei den KMU sind es dagegen nur 35 Prozent. 73 Prozent der Experten aus Marketing und IT sind zudem davon überzeugt, dass KI ihnen in ihrem Unternehmen einen Mehrwert bieten kann. Die Experten sind sich also über die Vorteile weitgehend einig.

Und auch die Vorurteile in der Bevölkerung fallen langsam. Kaveh Taghizadeh von KPMG sagt dazu: „Wichtig ist, den Nutzen von Digitalisierung und Automatisierung zu erklären und zu unterscheiden, was Hype ist und was real. Teil der Unsicherheit oder Widerstände gegen Digitalisierung rühren schlicht daher, dass es vielen unklar ist, welchen Nutzen das bringt oder was sich für den Einzelnen verändert.“ Gabriel Werner stimmt zu: „Dass die Notwendigkeit besteht, sehen inzwischen alle ein. Trotzdem gibt es hier und da Widerstände, weil Manager den Prognosen nicht trauen wollen oder weil Mitarbeiter um ihre Posten fürchten. Das ist jedoch immer unbegründet, da die KI sie von lästigen Aufgaben befreit und sie sich spannenderen Dingen widmen können, die eine Maschine nicht übernehmen kann.“

Das ist die Zukunft der KI

Digitale Prozesse sind keine Dystopien mehr, aus Angst wird Respekt. Werner vergleicht die Entwicklung mit Cloud-Technologien: „Vor einigen Jahren war die Angst noch groß, Daten in der Cloud zu verlieren oder sie vermeintlich unseriösen Mächten anzuvertrauen. Die Bereitschaft ist oft vorhanden, ungeachtet einer gewissen Restskepsis. Viele Unternehmen sehen mittlerweile einfach die Notwendigkeit.“ Die aktuelle Coronakrise trägt zudem ihren Teil dazu bei, dass Kunden, Nutzer und Unternehmen den Wert kennenlernen, die Technologie im Allgemeinen und KI im Speziellen haben kann. KPMG spricht mit seinen Kunden derzeit etwa viel darüber, „wie sich Lieferketten risikoresistenter gestalten lassen“, so Taghizadeh. Gabriel Werner von Blue Yonder ist sich sicher: „In ein paar Jahren wird es keine Supply Chain mehr geben, die keine KI einsetzt und keinen Händler, der auf KI verzichtet.“ Die Dystopien sollten bis dahin weiter im Reich der Fiktion bleiben.

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