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Amazon: Händler fürchten Missbrauch der neuen Retouren-Prozesse durch die Kunden

Veröffentlicht: 19.10.2022 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 26.10.2022

Amazon hat kürzlich angekündigt, ab dem 31. Oktober 2022 Neuerungen auf seinem Online-Marktplatz einzuführen: Diese betreffen den Rücksendeprozess, wobei alle Händlerinnen und Händler mit Standard-Rücksendeadresse in Deutschland den retouren-willigen Kunden entweder vorfrankierte, verfolgbare Rücksendeetiketten oder Erstattungen ohne Warenrücksendung anbieten müssen. Damit soll ein noch besseres Einkaufserlebnis garantiert werden. (An dieser Stelle geben wir einen ausführlichen Überblick zu den Retouren-Änderungen.)

Bereits kurz nach der Ankündigung der Neuerungen haben sich unter dem Beitrag von Amazon im Seller Central jedoch zahlreiche Händlerinnen und Händler zu Wort gemeldet, die Bedenken und auch Kritik äußern. 

Falsche Gründe für Gratis-Retouren befürchtet

Im Zentrum der Zweifel steht folgender Passus: „Wir möchten Sie daran erinnern, dass Sie innerhalb von 48 Stunden nach der Rücksendung des Artikels an Sie eine Erstattung veranlassen müssen. Andernfalls kann Amazon Maßnahmen ergreifen. Sie müssen anhand des Grundes für die Rücksendung bestimmen, wer die Kosten für die Rücksendung trägt (Sie oder der Kunde).“

Aus den Kommentaren geht etwa hervor, dass einige Verkäufer befürchten, dass Kunden bei einer Retoure falsche Gründe angeben, um die Rücksendekosten auf die Händler abzuwälzen: „Der Kunde wird sehr schnell begreifen, welchen Grund er auswählen muss, um keine Rücksendekosten zu tragen, auch wenn der Grund gar nicht stimmt“, heißt es beispielsweise von einem Nutzer. Er befürchte zudem, „dass der Kunde wie oft üblich zig mal herumprobiert, bis er endlich einen Grund mit kostenfreier Retoure gefunden hat“, um die Kosten zu sparen.

„Was macht man dann?“

Ein anderer wirft die Frage auf, welche Maßnahmen Händler einleiten können, wenn tatsächlich ein Missbrauch vorliegt oder vermutet wird: „Was macht man dann, wenn es offensichtlich ist, dass der Kunde wahllos Gründe aussucht, um ein kostenloses Rücksendeetikett zu erhalten? Rechnung außerhalb Amazon senden? Mahnung, Inkasso, etc…“

Unser Tipp: Auch hier ist viel Fingerspitzengefühl gefragt, denn zum einen wollen Händler ihre Geschäftsbeziehung mit Amazon nicht aufs Spiel setzen, zum anderen zufriedene Kunden behalten, die sich nicht mit einer negativen Bewertung revanchieren. Es sei jedoch angemerkt, dass man einem Verbraucher den Widerruf wegen Missbrauchs verweigern kann. Das hatte schon der Bundesgerichtshof entschieden.

Höhere Preise als Folge?

Auch andere Aspekte und potenziellen Folgen der Neuerungen werden in den Kommentaren diskutiert: So gibt es unter anderem Befürchtungen, dass Händler die Preise für Artikel, die sie bei Amazon anbieten, noch weiter anheben müssten, um die Kosten für potenzielle Retouren abzufedern. „Und die sind hier schon viel teurer als auf allen anderen Plattformen … [...] Wenn ich da an die Bestellungen denke, wo der Kunde zuerst 5 Teile bestellt und in 3 Touren dann alles zurückschickt, am besten auch noch von Österreich aus, und für jedes Mal ein Rücksendeetikett bekommt, dann ist ein Verkauf bei Amazon seriös nicht mehr abzubilden.“

Besonders mit Blick auf niedrigpreisige Artikel dürften die Kosten steigen, denn „wo früher ein Großbrief gereicht hat“ würden die Teilnehmer nun gezwungen, auf einen teuren Paketversand zurückzugreifen. Ähnliche Kritik hatte es übrigens auch schon auf anderen Online-Marktplätzen gegeben: Beispielsweise prangern Etsy-Händler im vergangenen Jahr das neue Verkäufer-Star-Programm an, in dessen Rahmen das Tracking von Sendungen verpflichtend ist, wodurch preiswerte Großbrief-Varianten nicht mehr möglich seien.

Darf Amazon das eigentlich?

Wenn Amazon und andere große Player im E-Commerce gravierende Änderungen auf Marktplätzen vornehmen und damit Händlerinnen und Händlern neue Pflichten auferlegen, hört man immer wieder die Frage: „Dürfen die das eigentlich?“ Eine Antwort auf diese Frage ist – wie so oft – nicht schnell und eindeutig gegeben.

Grundsätzlich kann Amazon nach eigenem Ermessen Hausregeln und Richtlinien aufstellen, an die sich Vertragspartner halten müssen, wenn sie das Portal nutzen und von der Reichweite des US-Riesen profitieren wollen. Hier sei vor allem angemerkt, dass Händler sich zu Amazon in einem B2B-Verhältnis befinden und alleine in den Vereinbarungen viel weniger Grenzen gesetzt sind. Mit dem stetigen Wachstum Amazons und der immer größeren Marktdominanz, die der Konzern innehat, rücken neben den Hausregeln allerdings auch größere Strukturen in den Blick: zum Beispiel das Kartellrecht. Dann geht es nämlich um die Frage, ob Amazon seinen Händlern nachteilige Konditionen auferlegt und seine Marktmacht gegenüber den Händlern ausnutzt. 

EU untersucht Marktmacht der Tech-Riesen

Seit Jahren hat die EU-Kommission Amazon genau im Blick und will einer potenziellen Monopolstellung sowie einem Machtmissbrauch des Tech-Konzerns entgegenwirken. Ein Instrument, dieses Ziel zu erreichen, soll der sogenannte Digital Markets Act (DMA) darstellen, der frühestens im kommenden Jahr in Kraft treten soll. Er stellt große Konzerne mit Milliarden-Umsätzen ins Zentrum, soll eine zu große Marktmacht dieser Firmen verhindern und dadurch einen fairen Wettbewerb auf dem Markt ermöglichen. In diesem Rahmen werden insbesondere Geschäftspraktiken unter die Lupe genommen, die unfaire Bedingungen schaffen und damit verboten sind.

Auch Amazon zählt neben Firmen wie Apple, Facebook oder Google zu jenen Unternehmen, auf die der DMA ausgerichtet ist. Mit seinem Inkrafttreten erhoffen sich Verfechter, künftig ein noch intensiveres, schnelleren und agileres Vorgehen gegen tendenziell kritische Geschäftspraktiken der Online-Riesen – welche das im Einzelnen sind, muss dann die Kommission entscheiden.

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