Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Mehrheit der deutschen Online-Shops ist nicht barrierefrei

Veröffentlicht: 28.06.2023 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 28.06.2023
Person verwendet Tastatur mit Brailleschrift

Barrierefreie Online-Shops werden Pflicht: Ende Juni 2025 tritt die EU-Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit (European Accessibility Act, EAA) in Kraft, hierzulande wird sie durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt. Ziel der Vorschriften ist es, den gesamten Online-Handel barrierefrei zu gestalten – privatwirtschaftliche Anbieter werden damit zur Barrierefreiheit von digitalen Produkten und Dienstleistungen gesetzlich verpflichtet. 

Doch noch sieht es in der E-Commerce-Landschaft bei der Umsetzung eher mau aus, wie jetzt eine Untersuchung der Aktion Mensch und Google offenbart: Drei Viertel der größten deutschen Online-Shops sind demnach bislang nicht barrierefrei, nur ein Viertel hat hilfreiche Maßnahmen bisher (in Teilen) umgesetzt. Lediglich zwölf Webshops verfügen demnach aktuell über passende Funktionen, um barrierefrei durch den gesamten Kauf zu gelangen.

Dass dies bei so vielen Portalen noch nicht der Fall sei, ist ein Manko, wie etwa Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch, anlässlich der Veröffentlichung der Testergebnisse herausstellt: „Menschen mit Beeinträchtigung werden durch fehlende digitale Barrierefreiheit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen – obwohl sie das Internet überdurchschnittlich intensiv nutzen und eine besonders relevante Gruppe von Online-Kund:innen sind.“ Insofern wäre eine barrierefreie Gestaltung der Shops ganz im Sinne der Online-Händler:innen, denn Menschen mit Beeinträchtigungen shoppen bereits öfter online als jene ohne Beeinträchtigungen, zeigen Zahlen der Organisation. 61 Prozent der Personen mit Behinderung kaufen sehr häufig bis häufig online, im Vergleich dazu tun dies nur etwa 51 Prozent der Personen, die keine Beeinträchtigung haben. Für Menschen mit Beeinträchtigungen ist der Online-Kauf mitunter wegen eingeschränkter Mobilität eine willkommene und teils notwendige Alternative zum stationären Handel. Hierzulande leben gut 13 Millionen Menschen mit einer Beeinträchtigung, 7,8 Millionen mit einer anerkannten Schwerbehinderung. 

Digitale Hürden: Wenn der Cookie-Banner Zugang versperrt oder nur eine Größe bestellt werden kann

Basierend auf Trafficdaten von Similiarweb wurden in der aktuellen Testreihe von den Top-500 Webseiten in Deutschland jene mit Online-Shop betrachtet, sodass insgesamt 78 Shopping-Portale auf ihre Barrierefreiheit hin untersucht worden sind.  

Als größte Barriere erwies sich, dass 61 der 78 Shops nicht mit einer Tastatur bedient werden können. Dies jedoch gilt als Grundvoraussetzung für digitale Barrierefreiheit, betonte Susanne Baumer von der Daten-Medien-Service-Stiftung Pfennigparade, die ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war. Eine Tastatur-Navigation kann beispielsweise alternativ zur Bedienung per Maus die Steuerung der Webseite erleichtern. Ein Negativbeispiel in der Untersuchung war Baumer zufolge etwa, dass in einem Shop – trotz eines differenzierten Größenangebots – per Tastatur lediglich eine einzige Größe auswählbar und somit bestellbar war. Eine weitere große Hürde sei es auch, wenn Webseiten nicht explizit anzeigen können, welches Element per Tastatur gerade ausgewählt ist. 

Auch schränkt es die Bedienbarkeit ein, wenn Hintergrundfarbe und Textfarbe in zu geringem Kontrast abgebildet sind – dies erschwert die Lesbarkeit. Als ungünstig erwiesen sich weiter Cookie-Banner oder andere Pop-ups und Overlays, die den Hauptinhalt der Webseite ausblenden und zum Beispiel nicht per Tastatur schließbar waren, sodass User:innen gar nicht erst Zugang zu den eigentlichen Informationen erhalten konnten. Es fehlte aber zudem an Grundlagen wie einer hierarchischen Überschriften-Ordnung auf der Seite.

Hilfreiche Funktionen für barrierefreies Online-Shopping – von Anfang an mitdenken

Als nutzerfreundlich und hilfreich erweist es sich hingen, wenn beim Ausfüllen von Bestellformularen – ohne die es beim Bestellabschluss ja meist nicht geht – eingeblendet wird, was und wie etwas in dem jeweiligen Formularfeld zu stehen hat. Und diese Hinweise sollten auch dann noch sichtbar sein, wenn sie gerade befüllt, um sich jederzeit rückversichern zu können, dass die Eingaben korrekt erfolgt sind. Auch eindeutige Fehlerhinweise sind in so einem Fall nützlich. Weiter kann ein einfaches Ändern der Textgröße die leichtere Bedienbarkeit von Online-Shops steigern. In diesem Fall komme es aber noch oft dazu, dass Texte abgeschnitten werden, mahnte Detlef Girke, Tester und Experte für digitale Barrierefreiheit (BITV-Consult) und ebenfalls Mitwirkender an der aktuellen Studie. Hamburger-Menüs sollten außerdem korrekt beschriftet sein und Auswahlmöglichkeiten einfach veränderbar sein sowie später korrekt ausgelesen werden können. 

„Gelungene Inklusion setzt digitale Barrierefreiheit voraus. Doch leider wird sie von Unternehmen in der Entwicklung von digitalen Angeboten viel zu selten von Beginn an mitgedacht – hier muss ein Umdenken stattfinden. Mein Wunsch für die Zukunft ist es, dass digitale Barrierefreiheit zur Selbstverständlichkeit wird“, so Girke. 

Google: Barrierefreiheit herzustellen ist nicht kompliziert

Um die Bedienbarkeit für alle Personengruppen zu verbessern, können Tools helfen. Beispielhaft wurde hier etwa das Tool Wave angeführt, mit dem sich die eigene Webseite auf vorhandene Barrieren hin testen lässt. Accessibility-Überprüfungen seien auch mit Google Lighthouse möglich. Screenreader und Stimmsteuerungstools könnten zudem eingesetzt werden, um einmal zu testen, ob man mit diesen über die Website navigieren könne. Man sollte zudem Betroffene direkt an der Entwicklung teilhaben lassen und/oder sie etwa auch als Testpersonen zu Rate ziehen. Weitere Handlungsempfehlungen und positive Beispiele für Inklusion in Webshops listet der Testbericht auf. 

„Barrierefreiheit ist nicht nur hilfreich für Menschen mit Behinderung, sie ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal einer Webseite. Unternehmen können damit neue Kundengruppen erschließen, die eine einfache Bedienbarkeit und verständlich aufbereitete Inhalte – unabhängig von einer Beeinträchtigung - zu schätzen wissen. Und keine Sorge: Barrierefreiheit herzustellen, ist gar nicht so kompliziert. Hauptsache, man legt einfach mal los“, sagt Isabelle Joswig, Inklusionsbeauftragte von Google Deutschland. 

 

Barrierefreiheit im Netz: Noch einige offene Fragen

Ob mehr Barrierefreiheit seitens Google auch – ähnlich wie bei der Mobiloptimierung von Websites – zu besseren SEO-Rankings führen könnte, bleibt abzuwarten. Konkrete Pläne schien es dazu aktuell nicht zu geben. Aber bekanntermaßen werden beispielsweise Alt-Texte von Bildern, also kurze Bildbeschreibungen, die auch Screenreader erfassen können, von den Suchmaschinen-Crawlern erfasst. Und klar dürfte auch sein: Je besser eine Webseite von vielen Menschen benutzbar ist, desto mehr wird sie auch frequentiert.  

Wie die Barrierefreiheit im Online-Handel in der Praxis künftig überprüft wird, muss sich ebenfalls noch zeigen. Michael Wahl von der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT), die bei dem Projekt mit fachlicher Beratung zur Seite stand, sagte auf der Pressekonferenz, dass Umsetzung und Kontrollmechanismen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes voraussichtlich Ländersache sein werde. Dadurch könnte sich sicher noch das ein oder andere Fragezeichen auftun.

Das Hauptanliegen der beteiligten Projektpartner:innen sei es derzeit, überhaupt ein größeres Bewusstsein für Barrierefreiheit im Netz zu schaffen. Sie gilt für zehn Prozent der Bevölkerung, also Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung, unerlässlich, für mindestens 30 Prozent, Menschen mit leichten Beeinträchtigungen, notwendig – und für 100 Prozent hilfreich, betonte die Aktion Mensch. Im nächsten Jahr soll erneut ein solcher gemeinsamer Test zur digitalen Barrierefreiheit durchgeführt werden. 

Ausführliche Hinweise zur Barrierefreiheit im Online-Handel, etwa auch zu rechtlichen Fragen, haben wir auch an dieser Stelle zusammengestellt.

Über die Autorin

Hanna Behn
Hanna Behn Expertin für: Usability

Hanna fand Anfang 2019 ins Team der OnlinehändlerNews. Sie war mehrere Jahre journalistisch im Bereich Versicherungen unterwegs, dann entdeckte sie als Redakteurin für Ratgeber- und Produkttexte die E-Commerce-Branche für sich. Als Design-Liebhaberin und Germanistin hat sie nutzerfreundlich gestaltete Online-Shops mit gutem Content besonders gern.

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Kontaktieren Sie Hanna Behn

Kommentare  

#2 Horst Screyer 2023-07-20 09:41
Ich fand den Onlieshop der Aktion Mensch auch nicht besonders barrierefrei. Da sind zum Beispiel Bilder ohne Alttext oder Formulare ohne Label.
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#1 Torsten 2023-06-29 08:54
Schlussendlich müssen hier auch die Software Hersteller ins Handeln kommen. "Bedienung per Tastatur", wo heute eigentlich seit Jahren "Mobile First" angepeilt und ein Shop / Webseite auf Touch optimiert wird.

Ich empfinde zudem meinen Kunden stets nicht zu Gendern, da Menschen mit Seh-Behinderung diese Texte vorgelesen bekommen. Ich blende für mich das :innen einfach aus, damit der Textfluss nicht gestört wird. Das geht dann nicht. Warum nicht einfach beide Geschlechter getrennt angesprochen werden, bleibt mir ein Rätsel.

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Antwort der Redaktion:

Hallo Torsten,

Danke für dein Feedback und dein Interesse an unserem Sprachgebrauch in der Redaktion. Zur Barrierefreihei t und gendersensibler Schreibweisen mit Sonderzeichen gibt es verschiedene Auffassungen und Argumente. Beide Themen zusammenzubring en, ist, zugegeben, keine leichte Aufgabe. Wir haben uns nach sorgfältiger Abwägung in der Redaktion für die (im Übrigen freiwillige) Schreibweise mit dem Doppelpunkt entschieden, da diese zumindest beidem weitestgehend gerecht wird. Die Paarform spricht nur zwei Geschlechter an und ist damit nicht inklusiv. Weitere Information dazu, warum wir bei OnlinehändlerNe ws auf gendersensible Formulierungen achten, haben wir auch an dieser Stelle zusammengefasst , schau gern rein: www.onlinehaendler-news.de/... /

Viele Grüße
die Redaktion
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