Nicht mehr nur „Mehr“

Kundenbindungsprogramme müssen mehr bieten als nur Punkte

Veröffentlicht: 11.04.2023 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 20.04.2023
Payback

Lidl Plus, Zalando Plus, Amazon Prime oder der Klassiker: Payback – Kundenbindungsprogramme gehören zum guten Ton im (Online-)Handel. Kaum ein Anbieter verzichtet darauf, um die Kundschaft zum Wiederkommen zu bewegen. Payback verleitet die Kunden schon seit über 20 Jahren zum Sammeln von Punkten, um diese für Rabatte und andere Vorteile einzulösen. Ob das für Verbraucher wirklich sinnvoll ist, steht immer wieder zur Diskussion, bei der Stiftung Warentest zum Beispiel schneidet das Programm von Payback eher durchschnittlich ab.

Fraglos ist aber der Nutzen für Unternehmen. Treueprogramme, Premium-Abos und Rabattclubs sorgen messbar für Stammkunden. Allerdings reicht es längst nicht mehr, ein Punkteprogramm zu implementieren und sich dann zurückzulehnen. Wie der Online-Handel ganz generell haben sich Kundenbindungsprogramme weiterentwickelt. Genau wie die Kunden – denn diese sind anspruchsvoller geworden.

Kundenbindungsprogramme sind essenziell

Über die Hälfte der Verbraucher (52,9 Prozent) erwartet einer Knistr-Studie zufolge heute ein Kundenbindungsprogramm. Das bestätigt eine Befragung des IfH Köln, der zufolge 48 Prozent der Kunden eine stärkere Bindung zu einem Händler aufbauen, wenn dieser ein entsprechendes Programm bietet. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar fast zwei Drittel (64 Prozent). Bei der Frage nach dem Warum stellt sich wenig überraschend heraus, dass Rabatte an dieser Stelle die Hauptrolle spielen.

„Die Deutschen sind nicht umsonst dafür bekannt, gerne zu sparen. Rabatte sind mit 73 Prozent der beliebteste Grund, Treueprogramme zu nutzen, gefolgt von dem kostenlosen Versand und der Auswahl zwischen verschiedenen Belohnungen“, sagt Ines Bahr. Sie ist Content-Analystin einer Studie zu dem Thema von Software Advice. Die Ergebnisse sind nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Studie im vergangenen Jahr durchgeführt wurde, zu einer Zeit, in der die Inflation bei zehn Prozent lag.

Die Preisspirale hat viele Menschen dazu veranlasst, ihre Ausgaben zu reduzieren. Etwa die Hälfte der Verbraucher hat ihr Konsumverhalten im Zuge der Inflation verändert. „Da vor allem die Preise für Energie und Nahrungsmittel gestiegen sind, suchen Verbraucher mehr nach Einsparungsmöglichkeiten. Kundenbindungsprogramme sind daher durch die hohe Inflation wichtiger geworden. Wir haben die Studienteilnehmer gefragt, ob das Interesse an Kundenbindungsprogrammen inflationsbedingt weiter zugenommen hat: Dies bestätigten 55 Prozent der Verbraucher“, erklärt Bahr. Spannend ist dabei, dass die Nutzer gleichzeitig nicht von zig Angeboten erschlagen werden wollen. 91 Prozent der Verbraucher bevorzugen unternehmensübergreifende Angebote, wie sie eben etwa Payback bietet.

Herausforderungen

Kundenbindungsprogramme bieten nachvollziehbare Vorteile für Unternehmen. Kunden kommen wieder und bleiben damit gleichzeitig der Konkurrenz fern. Zudem steigt potenziell die Chance für Spontankäufe. „Sehe ich zum Beispiel in dem Newsletter oder der App meines Treueprogramms, dass Musikboxen lediglich 250 Euro statt 400 Euro kosten, werde ich vielleicht von einem spontanen, ungeplanten Kauf überzeugt“, so Bahr. Außerdem profitieren Anbieter von den gesammelten Kundendaten, wie die Analystin weiter erläutert. Marketingaktionen können so personalisierter auf die Kunden zugeschnitten werden. „Das hat ein verbessertes Kundenerlebnis zur Folge und dadurch auch bessere Verkaufschancen auf Anbieterseite.“

Allerdings sind auch Loyalitätsprogramme keine eierlegende Wollmilchsau und bringen zudem Herausforderungen mit sich. Bahr: „Das Ziel von Programmen ist, eine emotionale Verbindung vom Kunden zum Unternehmen herzustellen. Dies einheitlich zu schaffen ist jedoch bei verschiedenen Kundentypen, Generationen, Einkommensgruppen usw. schwierig. Die Herausforderung von effektiven Kundenbindungsprogrammen ist, einer heterogenen Zielgruppe gerecht zu werden.“ Zudem dürfe man die Kosten nicht unterschätzen, die bei Implementierung und Verwaltung anfallen. Auch muss man sich die Frage stellen, ob man sein Angebot offen und kostenlos zur Verfügung stellt (was wiederum zur Kostenfalle werden kann, wie Bahr anmerkt) oder ob man eine Mitgliedsgebühr verlangt (wie etwa bei Amazon Prime).

Königsdisziplin Markenloyalität

Online-Händler und andere Unternehmen implementieren Rabattprogramme – auf die es bei Kundenbindung ja sehr oft hinausläuft – natürlich nicht aus purer Nächstenliebe. Es geht letztlich um Loyalität. Die Kunden sollen wiederkommen, erneut kaufen, eine Bindung zum Anbieter aufbauen. Es geht um Markenloyalität. Stellt sich die Frage: Ist diese in der heutigen Zeit nicht generell viel geringer als früher? Egal in welcher Branche, das Angebot ist riesig. Warum sollten Kunden zu Obi gehen, wenn der Hornbach näher ist? Warum Disney+ nutzen, wenn sie schon ein Netflix-Abo haben? Warum bei AboutYou nach Klamotten stöbern, wenn sie mit Zalando zufrieden sind? Und: Warum sollten sie sich nur auf eines oder wenige Angebote festlegen?

Eine Antwort darauf ist die Ausrichtung von Kundenbindungsprogrammen. Denn längst geht es dabei nicht mehr nur um das schnöde Sammeln von Punkten, sondern darum, in die eigene Marke zu investieren – und Kunden teilhaben zu lassen: „Durch Teilhabe steigt auch die emotionale Bindung an eine Marke selbst in schwierigen Zeiten. Bei einem negativen Markenerlebnis macht es etwas aus, in diese Marke investiert zu sein. Der so oft in der alten Welt der Loyalität genutzte Begriff der ‚Abwanderung‘ erhält durch diese Art der Markenloyalität einen neuen Gegenspieler“, erklärt Chris Böhnke, Design Lead bei Accenture Song.

Accenture hat jüngst in seinen Life Trends unter anderem untersucht, wie die Kundenbindung „von morgen“ funktionieren kann. Und dabei sieht Böhnke eine entscheidende Veränderung weg von Punkten und Rabatten: „Loyalität war bisher meist transaktional. Marken bieten Kund:innen Programme, um mehr vom Gleichen zu kaufen. Kundenbindung wurde also per Anzahl gemessen. Die Kennzahl ‚Mehr‘ in Transaktionen stellt sich in Zeiten der aktuellen Inflation allerdings schwierig dar. Nachlass auf ein ‚Mehr‘, das sich Kund:innen ohnehin nicht leisten können oder derzeit leisten wollen, funktioniert nicht mehr.“

NFT und der Community-Effekt

Heutzutage wollen Kunden, so Böhnke, eine neue Art der Partizipation – zum Beispiel in Online-Communities bei Reddit, Discord oder Twitch. „Hier werden eigene Vorstellungen vom Angebot der Marken diskutiert. Kund:innen schlagen neue Produkte, Verbesserungen und Ideen für Inhalte vor. Diese Teilhabe dürfen Marken aufgreifen, um Kundenbindung herzustellen. Die Interaktion mit Online-Communities und die Umsetzung der im Dialog entstehenden Ideen erzeugt dabei nicht nur mehr Beziehung. Sie ermöglicht auch neue Wege für zusätzlichen Umsatz sowie Kosteneinsparung“, so Böhnke. Er nennt das Beispiel Lacoste. Das Unternehmen bietet NFTs zu seinen ikonischsten Produkten und verkauft den Kunden damit gleichzeitig das Recht, Markenentscheidungen mitzugestalten.

Chris Böhnke über Odyssey von Starbucks:

„Das Programm Odyssey verschiebt den Fokus des ursprünglichen Loyalitätsprogramms von den ‚Stars‘-Sammelpunkten zu Web 3.0-basierten Interaktionen. Der Status im Loyalitätsprogramm hängt nicht länger davon alleine ab, wie viel Kaffee man trinkt. Am 10.03. hat Starbucks eine erste Serie an NFT-Stamps der Siren-Collection herausgebracht. 2.000 limitierte ‚Stamps‘ wurden ausgegeben. Jeder Stamp kostete $100 für Teilnehmer:innen des Programms und diese waren innerhalb von 20 Minuten ausverkauft. Kund:innen können die Stamps nicht nur im Sekundärmarkt handeln. Ihr Erwerb lässt sie auch im Status des Odyssey-Programms steigen. Dahinter verbergen sich durch den Status freigegebene Erlebnisse und Zugang zu weiteren Exklusivinhalten und -produkten. Der Erfolg von Starbucks liegt vor allem darin, die notwendige und für Kund:innen vollkommen unsichtbare Web 3.0-Umstellung rechtzeitig aufgesetzt zu haben. Die ersten Ergebnisse demonstrieren die zusätzlichen Umsatzeffekte, die hier durch Kund:innen erbracht werden, ohne auch nur einen Kaffee trinken zu müssen.“

 

Auch auf der Kostenseite bieten sich dadurch Vorteile: Neue Produktideen werden in der Community quasi live getestet, nutzergenerierte Inhalte fließen in Gestaltungsideen ein. Neue Technologien können für eine ganz neue Tiefe in der Beziehung zwischen Kunde und Marke sorgen, glaubt Böhnke: „Tokens ermöglichen nämlich gleich zweierlei: nicht nur den zusätzlichen Umsatz durch NFTs als Collectibles, sondern auch die Identifikation von Kundendaten ohne Datenhorden. In 2025 werden etwa 60 Prozent aller Amerikaner:innen ein digitales Wallet benutzen. Die darin vorhandenen Daten über die Kund:innen werden tiefgreifend sein und über Token aussteuerbar. Jede:r Nutzer:in kann mit gutem Gewissen wesentlich mehr über sich in einem Markenerlebnis preisgeben, da zum Beispiel der Echtname oder die E-Mail-Adresse nicht Teil der Interaktion sein muss.“

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Klar ist: Ein Großteil der Kunden wünscht sich Personalisierung und eine größere Bindung zu Marken und Unternehmen. Kundenbindungsprogramme sind ein wichtiger Hebel, um aus Neukunden Stammkunden zu machen, sie dürfen aber keine Schnellschüsse sein, sondern müssen durchdacht werden, damit man einerseits nicht in eine Kostenfalle rutscht, wie Ines Bahr angemerkt hat. Damit man aber auf der anderen Seite die Kunden auch so anspricht, dass sie sich an eine Marke binden wollen.

Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

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