Händler:innen sind genervt

Grundsatzfrage: Warum gibt es ein Widerrufsrecht im Online-Handel?

Veröffentlicht: 12.01.2024 | Geschrieben von: Yvonne Bachmann | Letzte Aktualisierung: 12.01.2024
Geschäftsmann hält Lupe mit Checkliste

Durch zahlreiche Gesetze werden Verbraucher:innen umfangreiche Rechte gewährt. Das fängt beim Widerrufsrecht an und hört auch bei den zahlreichen Vorteilen im Gewährleistungsrecht (beispielsweise eine erleichterte Beweisführung) nicht auf. Erst kürzlich berichteten wir, wie es die (liebe) Kundschaft beispielsweise nach Weihnachten auf die Spitze treibt, und sich auf ihr gesetzlich garantiertes Widerrufsrecht beruft, die Ware vorher aber bereits geöffnet und dreisterweise sogar benutzt hat. Achtung: Spoiler-Alarm! Auch wenn man das nicht ändern kann, macht es der Grundgedanke bei der Gesetzgebung vielleicht etwas einfacher, das Ganze zu verstehen und anzunehmen.

Gelegenheit macht Widerrufsrecht

Im Grundsatz gilt: Vertrag ist Vertrag! Das gilt prinzipiell auch im Online-Handel. Das Widerrufsrecht bildet jedoch die wichtigste Ausnahme von diesem Grundsatz, weil Verbraucher:innen in bestimmten Situationen (z. B. online) vor einer vertraglichen Bindung geschützt werden sollen. 

Dabei hielt das Widerrufsrecht nicht erst mit der Erfindung des Online-Shoppings Einzug ins Gesetz. Auch Haustürgeschäfte, bei denen man an der Haustür in einen 2.000 Mark teuren Staubsauger hineingequatscht wurde, waren einer der Gründe, warum die Gesetzgebung handeln musste. Gott sei Dank, muss man jetzt sagen, denn sonst stünden in deutlich mehr Wohnzimmern epische Enzyklopädien, an denen Generationen von beschenkten Enkel:innen schier verzweifelt sind. Das Widerrufsrecht für den Online-Handel war sozusagen nur die Fortführung dessen, was die schwarzen Schafe zuvor ins Rollen brachten.

Des einen Freud, des anderen Leid

Mit dem Widerrufsrecht für den Fernabsatz ist es nicht ganz so drastisch, aber die Begründung leuchtet ein. So soll eine übereilte Entscheidung wieder rückgängig gemacht werden können, denn wie schnell hat man sich am Smartphone vertippt? Auch die digitale Zahlung macht es einfach, etwas online zu bestellen, was man später bereut. Anders als ein Kauf im Geschäft, bei dem man das Bargeld oder wenigstens eine Bezahlkarte übergeben muss, ist der Online-Bezahlvorgang viel abstrakter – es schmerzt weniger.

Im Gegensatz zum stationären Handel haben Verbraucher:innen beim Online-Shopping oft keine Möglichkeit, die Produkte vor dem Kauf überhaupt zu inspizieren. Das Widerrufsrecht ermöglicht es ihnen, die Ware nach Erhalt zu prüfen und somit bei Nichtgefallen oder Mängeln ohne Angabe von Gründen zurückzusenden, während man im Geschäft einfach das Naheliegendste tut: Man muss wieder gehen. Das Widerrufsrecht gibt Verbraucher:innen somit die Möglichkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen, ohne das Risiko einzugehen, an ein Produkt gebunden zu sein, das ihnen nicht zusagt.

Es ist nicht ALLES schlecht am Widerrufsrecht

Nicht zuletzt ist das Widerrufsrecht, wenn man es einmal positiv betrachten muss, doch auch ein kleiner Vorteil (ich freue mich jetzt schon auf die Kommentare zu diesem Artikel), denn es schafft Vertrauen bei Verbraucher:innen, was wiederum den Online-Handel fördert. Das Beispiel Schweiz, wo man sich immer noch gegen ein Widerrufsrecht sträubt, zeigt, dass die dortige Kundschaft daher auf EU-Shops zurückgreifen muss.

Wenn Kund:innen wissen, dass sie ihre Bestellung ohne größeren Aufwand zurückgeben können, sind sie eher bereit, online einzukaufen oder gar bewusst den Online-Shop vorzuziehen. Das ist im Ladengeschäft nur auf Kulanz möglich. Das hat zwar ein bisschen was von Schönreden, aber man muss nehmen, was man kriegen kann. Und schließlich ist jeder Händler und jede Händlerin auch einmal im Feierabend und kauft online ein. Und dann freut man sich doch, wenn man die kneifenden Schuhe retournieren oder das zerbeult eingetroffene Taschenbuch selbst wieder retournieren kann.

Über die Autorin

Yvonne Bachmann
Yvonne Bachmann Expertin für: IT-Recht

Yvonne ist schon seit Beginn ihrer juristischen Laufbahn mit Leib und Seele im IT-Recht unterwegs. Seit Anfang 2013 ist sie als Volljuristin beim Händlerbund tätig und berät dort hilfesuchende Online-Händler in Rechtsfragen rund um ihren Shop. Genausolange berichtet sie bei uns zu Rechtsthemen, welche die E-Commerce-Branche aufwirbeln. 

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Kommentare  

#7 Dirk 2024-01-20 10:14
Der Ehrlichkeit halber wegen muss man zugeben, dass, lange bevor jemand an Onlinehandel überhaupt dachte, es bereits eine Art freiwilliges Widerrufs- und Rückgaberecht im Versandhandel gab. Zu Zeiten der dicken Kataloge von Neckermann, Otto, Quelle & Co. war es völlig selbstverständl ich, Ware, die einem nicht gefiel oder passte, innerhalb einer gewissen Frist (ich glaube es waren vier Wochen oder 1 Monat) zurückzuschicke n. Und für die Rücksendekosten lag meist ein vorderuckter und freigemachter Adresszettel bei, den man aufs Paket kleben musste.
Die "Retoure" und das Widerrufsrecht sind also keinesfalls eine Erfindung des Internetzeitalters.

Das macht die Sache aus Händlersicht natürlich nicht besser.
Und komischerweise haben all die großen Versandhändler von früher (außer Otto) die Kurve ins Internet nicht gekriegt und waren früher oder später pleite.
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Aber die 25-bändige Bertelsmann-Lex ikothek - gebunden in weinrotem Leder und tonnenschwer - habe ich als Kind geliebt (und auch später geerbt ;-). Und ohne die zwei neuen Bücher pro Monat, die meine Mutter früher automatisch von Bertelsmann zugeschickt bekam, hätte ich wahrscheinlich auch das Lesen von Romanen und das Eintauchen in immer neue Fantasiewelten nicht so lieben gelernt.
Es war also nicht alles schlecht an diesem Haustür-Vertrie bsmodell...
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#6 Andree 2024-01-18 09:05
"Im Gegensatz zum stationären Handel haben Verbraucher:inn en beim Online-Shopping oft keine Möglichkeit, die Produkte vor dem Kauf überhaupt zu inspizieren. Das Widerrufsrecht ermöglicht es ihnen, die Ware nach Erhalt zu prüfen und somit bei Nichtgefallen oder Mängeln ohne Angabe von Gründen zurückzusenden, während man im Geschäft einfach das Naheliegendste tut: Man muss wieder gehen. Das Widerrufsrecht gibt Verbraucher:inn en somit die Möglichkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen, ohne das Risiko einzugehen, an ein Produkt gebunden zu sein, das ihnen nicht zusagt."

Das mag bei einigen Produkten so sein, es gibt aber auch andere Produkte für die das nicht zutrifft.
Ersatzteile z.B.: Sucht man einen Anlasser für sein Auto, liest man die Beschreibung und im Zweifel fragt man den Verkäufer, da braucht man nicht noch gros etwas fühlen.

"Mit dem Widerrufsrecht für den Fernabsatz ist es nicht ganz so drastisch, aber die Begründung leuchtet ein. So soll eine übereilte Entscheidung wieder rückgängig gemacht werden können, denn wie schnell hat man sich am Smartphone vertippt? Auch die digitale Zahlung macht es einfach, etwas online zu bestellen, was man später bereut. Anders als ein Kauf im Geschäft, bei dem man das Bargeld oder wenigstens eine Bezahlkarte übergeben muss, ist der Online-Bezahlvo rgang viel abstrakter – es schmerzt weniger."

Das ist im Prinzip betreutes Einkaufen. Der Bürger wird ja zusehends von eigenständigem Denken abgehalten.
Er darf ja nicht einmal freiwillig auf dieses Recht verzichten, er ist also quasi unmündig.

Das hat dann eben nicht nur diese Vorteile die propagiert werden:
Ich hatte schon Kunden die ein bestimmtes Teil gesucht haben, dass sehr schwer zu finden war, ich wusste auch wo es das gab aber ich habe es nicht verkauft, auf Nachfrage warum:

"Weil dieses Teil sehr selten gebraucht wird und teuer ist, wenn Sie sich entscheiden, dass Sie es doch nicht wollen und widerrufen, dann liegt es hier ggf auf ewig rum und steckt viel Geld drin"!
Daraufhin bat der Herr an auf sein Widerrufsrecht zu verzichten, was ich leider ablehnte, da er das nicht können.

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#5 Frank Eckert 2024-01-17 16:24
Das mag alles sein. Unlogisch ist aber, dass ich die Versandkosten erstatten muss.
Wenn ich in Ladengeschäft gehe und selbst auf Kulanz retourniere bekomme ich auch nicht das Fahrgeld oder die Spritkosten erstattet.
Fakt ist auch, die Transportleistu ng wurde durch einen Dritten erbracht und berechnet.
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#4 Ralf-Ternes 2024-01-17 15:22
Deswegen hat die Schweiz also eine bessere CO2 Bilanz.
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#3 André Kaschubowski 2024-01-17 15:20
Nein das sehe ich absolut anders, das Widerrufsrecht gehört komplett abgeschafft und Länder wie die Schweiz machen es richtig.
Jetzt nach Weihnachten hat man wochenlang damit zu tun bereits benutzte Ware kostenlos zurücknehmen zu müssen und zu erstatten, der Kunde bekommt die Möglichkeit eines komplett für ihn kostenlosen Verleihes angeboten.
Und nein ich sende nie etwas zurück, was korrekt geliefert wie bestellt wurde und ich kaufe Kleidung und Schuhe nur im stationären Handel, wo ich es anprobieren kann.
Weg also mit dem Widerrufsrecht, es schädigt nur den eh schon sehr arg gebeutelten Onlinehandel.
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#2 Wumse 2024-01-17 15:14
Ihr habt leider noch immer nicht verstanden, warum wir Händler so große Probleme mit dem Widerrufsrecht haben. Es ärgert uns nicht, wenn jemand einen defekten Artikel retournieren will (naja, vielleicht ein bisschen schon). Es ärgert uns vielmehr, dass die Kunden das auch mit Artikeln machen, die sie selbst beschädigt, benutzt oder anderweitig im Wert gemindert haben. Ich kann meinem Kunden ja nicht einfach vorwerfen, dass er mich verarschen will, wenn er behauptet, dass sein gekaufter Artikel mit einer Macke bei ihm ankam und er nichts für den Mangel kann.

Mein Wunsch für uns Händler:
1. Hinsendekosten sollten bei einem Widerruf nachträglich in Rechnung gestellt werden können oder nicht erstattet werden müssen. Das würde schon einen gewaltigen Unterschied ausmachen.
2. Wenn Artikel über die normalen Prüfung, die auch im Laden zulässig wäre, hinaus benutzt oder ausgepackt wurden, sollte ein Widerruf unzulässig sein.

Ich bin voll dafür, dass Kunden einen Artikel, den sie fälschlicherwei se bestellt haben, zurückgeben dürfen. Aber das Benutzen oder wertmindernde Behandeln eines Artikels sollte grundsätzlich von diesem Widerrufsrecht ausgeschlossen sein. Und auf den Versandkosten für solche sinnlosen Sendungen möchte ich auch nicht mehr sitzen bleiben. Reicht schon, dass der Versandkarton dafür verschwendet wurde.

Sprecht doch einfach mal mit Händlern und nicht mit Anwälten. Sicherlich kann euch jeder Online-Händler seine eigenen gruseligen Geschichten davon erzählen, wie Kunden versucht haben sich durch das Widerrufsrecht einen ungerechten Vorteil oder eine Bereicherung zu verschaffen.

Dein Kind hat sein Spielzeug herunterfallen lassen? Kein Problem! Bestelle einfach das identische Spielzeug online und schicke dann das defekte Exemplar auf Widerruf zurück. Gibt viele größere Händler, bei denen du damit durchkommst. Aber ich will hier nicht noch mehr Anregungen schaffen. Der "Feind" liest mit! :D
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#1 Karl Ranseier 2024-01-17 14:50
Welche übereilte Entscheidung trifft der Kunde denn beim Online shoppen? Hat er ein Zeitlimit bis das Geld weg sein muss? Ist er denn kein mündiger Bürger, der in der Lage ist die Konsequenzen seiner Entscheidungen zu ertragen? Und wen nicht, warum darf er überhaupt Kaufentscheidun gen treffen? Mit den offensichtliche n Antworten auf diese Fragen wäre das Argument wohl klar widerlegt!
Das Argument "verklickt" kann man ebenfalls nicht gelten lassen, den bei jedem Kauf muss der Kunde seinen Warenkorb bestätigen, die Zahlungsmethode auswählen etc. - das ist deutlich umständlicher als im Geschäft den Schein hinzuhalten.
Das Gegenstück zum Staubsaugervert reter wäre nicht der Onlineshop - in dem sich die Kunden oft tagelang aufhalten, bevor es zum Kauf kommt - sondern der In-App-Kauf bei Handyspielen, der gezielt auf Minderjährige (und verblödete) Kundschaft abzielt. Aber just da entfällt das Rückgaberecht, selbst wenn im Digitalen die Retour viel einfacher (keine Frachtkosten. keine Überprüfung auf Vollständigkeit etc.) wäre als mit echten Produkten. Wie kam es zu der Ausnahme?

Letztlich gibt es nur einen triftigen Grund für das Widerrufsrecht: sowohl die Legislative als auch die Judikative kaufen zwar gerne Online ein, verkaufen aber nicht. Justitia ist hier nicht blind, sondern hat schlicht und ergreifend den eigenen Vorteil im Auge und lässt uns Händler dafür bereitwillig über die Klinge springen. Gerecht wäre es, wenn der Verursacher (also Käufer) den entstandenen Schaden vollständig kompensiert. Das wäre die Übernahme der Frachtkosten hin- und zurück sowie eine Bearbeitungsgeb ühr in Höhe von ca. einer halbe Stunde Facharbeitergeh alt für den Aufwand des Händlers. Weiterhin natürlich eine Gebühr für den entstandenen Wertverlust des Produkts, das ja nicht mehr OVP ist.
Zusammenfassend : Wenn es dem Kunden nicht gefällt, soll er es über Kleinanzeigen selber verramschen und auf dem Verlust sitzen bleiben. Der Händler hat seinen Teil des Vertrags erfüllt, warum sollte ihm geschadet werden? Wenn der Käufer sich nicht sicher ist was er haben will, soll er in den Laden gehen und vor Ort entscheiden, bzw. sich beraten lassen. Das wird zwar teurer als das billigste Onlineangebot, dafür wurde der Kunde aber auch (zumindest theoretisch) fachkundig beraten. Onlineshopping ist für die Fälle, wenn man weiß was man haben möchte und daher keine Beratung/Vorfüh rung braucht.
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