„Seller in Existenzangst: Amazon behält seit Tagen Auszahlungen ein“, lautet die jüngste Schreckensmeldung, mit der Händlerinnen und Händler bei Amazon zu kämpfen haben. Wir wurden gefragt, ob dieses Vorgehen legal ist oder ob Amazon hier mal wieder Selbstjustiz betreibt.
Probleme zwischen Amazon und seinen Sellern sind seit eh und je eine never ending story. Die Berichte, Urteile und Meldungen nehmen epische Ausmaße an, angefangen von überzogenen Bilderrichtlinien, über Vertriebsbeschränkungen bis hin zu Kontensperrungen. Dabei ist den meisten Händlerinnen und Händlern mit eigenem Amazon-Shop schnell klar, dass sie sich an die Hausordnung von Amazon halten müssen.
Verstößt man gegen die Richtlinien oder gibt es Verdachtsmomente, beispielsweise auf Missbrauch oder betrügerische Aktivitäten, behält sich Amazon das Recht vor, das Guthaben der Seller einzufrieren oder das Konto vorübergehend zu deaktivieren. Dies dient nach offiziellen Angaben dazu, mögliche Schäden für die Kundschaft und den Marktplatz selbst zu minimieren, denn auch dieser gerät mehr und mehr in die Mithaftung für die Verstöße seiner Schäfchen.
In den aktuellen Fällen wird über die genauen Gründe bisweilen spekuliert, wobei es sich abzeichnet, dass es Unklarheiten bei der Abführung von Steuern sind, die zur Einbehaltung der Guthaben geführt haben könnten. Das deutete Amazon zumindest in einem Statement an, welches das Unternehmen gestern gegenüber unserer Redaktion abgab.
„Um ausstehende Transaktionen wie Warenrücksendungen oder -erstattungen, A-bis-Z-Garantieanträge von Kunden, Kosten für die Remission von Lagerbestand und ausstehende Gebühren zu begleichen“, nennt Amazon dazu selbst als generelle Gründe, für die Einbehaltung von Guthaben. Die Beachtung dieser Regelungen darf grundsätzlich auch von den Plattformen aufgestellt werden. Wird wie im aktuellen Fall auf die Einhaltung der geltenden Steuergesetze gepocht, ist dagegen nichts einzuwenden, denn es ist nichts „Ungesetzliches“, Steuern abzuführen.
Handelt es sich, und hier gehen die Spekulationen noch weit auseinander, um einen Softwarefehler, ist nicht nachvollziehbar, wieso Amazon diese Guthaben einbehalten sollte. Und diese Ungewissheit ist genau der Knackpunkt, den sich Amazon seit jeher bei seinen Sanktionsmaßnahmen gefallen lassen muss.
Viele Betroffene können das jedoch beim besten Willen nicht immer nachvollziehen und werfen Amazon berechtigterweise vor, übers Ziel hinauszuschießen. Die Urteile der Vergangenheit belegen, dass Amazon sehr oft unberechtigt handelte, Konten sperrte und Guthaben einfror (wir berichteten beispielsweise über ein Urteil aus dem Jahr 2020). Werden dem Betroffenen keine Gründe mitgeteilt und nachgewiesen, warum die Einbehaltung der Guthaben erfolgt, kann er seinen Verstoß logischerweise auch selbst nie beheben. Das ist für den Shop unverhältnismäßig.
Geschieht die Sanktion auf Grundlage keiner oder nur einer unzureichenden, vorgeschobenen oder inhaltsleeren Begründung, kann Amazon als Plattformbetreiberin eine gezielte Behinderung des Wettbewerbs vorgeworfen werden und die Betroffenen können dagegen vorgehen.
Betroffene Unternehmen sollten die Mühen, gegen die Sanktionsmaßnahmen vorzugehen, nicht scheuen, wenn die geschäftliche Existenz durch eine unberechtigte Sperrung gefährdet ist. Diese Schritte sind je nach Einzelfall möglich:
Viele Händlerinnen und Händler scheuen sich aus den unterschiedlichsten Gründen, gegen Amazon und insbesondere die diversen Sanktionsmaßnahmen vorzugehen, denn langfristig droht immer das Damoklesschwert der endgültigen Kündigung des Accounts. Bei der Umsetzung seiner rechtlichen Ansprüche ist anwaltliche Betreuung somit unerlässlich. Nicht zuletzt wäre der Gang zum Landgericht ohne einen Rechtsbeistand auch nicht möglich.