„Provokation“

Urteil zu Google-Fonts-Abmahnungen: Ohrfeige für Massenabmahner

Veröffentlicht: 24.05.2023 | Geschrieben von: Yvonne Bachmann | Letzte Aktualisierung: 25.05.2023
Hände in der Luft nach Sieg

Googles Schriftenfamilie umfasst knapp 1.000 Schriften. Dabei muss man sich im Klaren sein, dass bei deren Verwendung auch die DSGVO relevant ist. Spätestens seit Mitte 2022 war das den meisten Webseitenbetreibern jedoch schmerzlich bewusst, denn ein Urteil Anfang des Jahres legte den Grundstein für eine Abmahnwelle. Im Anschluss haben viele Verantwortliche von Online-Shops oder Webseiten schließlich unerfreuliche Post erhalten.

Dabei ging es um Forderungen wegen der dynamischen Einbindung von Google Fonts. Schließlich nahm das Ganze sogar fast filmreife Züge an, als die Staatsanwaltschaft gegen einen Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Berlin und dessen Mandanten Ermittlungen aufnahm

Google Fonts: Die Lizenz zum Gelddrucken

Das Landgericht München stellte im Februar 2022 fest, dass ein DSGVO-Verstoß vorliegt, wenn Google Fonts dynamisch auf Webseiten eingebunden werden und hierfür keine Einwilligung des Webseitenbesuchers vorliegt. Denn dann wird beim Aufrufen der Seite eine Verbindung zum Google Server aufgebaut und die IP-Adresse wird an Google übermittelt.

Das Landgericht München sprach dem Betroffenen daher einen Schadensersatz in Höhe von 100 Euro zu und die Gelddruckmaschine Google-Fonts-Abmahnungen war geboren. Abertausende von Abmahnungen, teils von immer der gleichen Person, wurden ausgesprochen.

Klar, dass man sich bei so einem enormen Geschäftsmodell samt Mega-Medienecho ein näheres Hinsehen gefallen lassen musste. Ende Dezember 2022 wurde die Meldung, dass die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungen gegen einen der Abmahnanwälte und dessen Mandanten aufgenommen hatte, als verfrühtes Weihnachtsgeschenk von vielen Betroffenen mit Freude zur Kenntnis genommen.  Anfang dieses Jahres folgte das erste uns bekannte Urteil, dass die Abmahnungen tatsächlich rechtsmissbräuchlich waren, weil es – wer hätte es gedacht?! – nur um Geldmache ging. Nun folgte eine weitere Entscheidung. 

Neues Urteil: Abmahnung wegen Einbindung von Google Fonts ungerechtfertigt

Ein Betroffener hatte in München auf Feststellung geklagt, dass die Abmahnungen unberechtigt waren. Mit Erfolg. Das Gericht geht zunächst so weit, zu bestätigen, dass die dynamische Einbindung von Google Fonts und die Übertragung der IP-Adresse in die USA ohne eine Einwilligung eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts darstellt. Dies setze allerdings voraus, dass tatsächlich eine persönliche Betroffenheit gegeben ist. Und die sei gerade nicht gegeben. 

Beabsichtigte Drohwirkung

Die Auseinandersetzung der Richter mit den Abmahnschreiben dürfte viele Betroffene freuen. Zum einen haben die Schreiben eine Drohung vermittelt. Das Schreiben sei bewusst so formuliert, dass bei einem durchschnittlichen Leser der Eindruck erweckt würde, es bestehe ein Zahlungsanspruch, dessen Höhe zwischen 100 € und 2.500 € liegen könne. Die gezielte Einschaltung eines Rechtsanwalts und die Bezeichnung als „Abmahnung“ sollte zur Überzeugung des Gerichts die Drohkulisse gegenüber den Empfängern der „Abmahnungen“ vergrößern.

Auch an der Vorgehensweise hatte das Gericht Zweifel. Das persönliche Aufsuchen der abertausenden von abgemahnten Websites wäre schon angesichts der Vielzahl an Seiten innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeiten nicht möglich gewesen. Vielmehr wurde ein automatisiertes Programm (sog. Crawler) eingesetzt, um Websites aufzufinden, auf denen Google Fonts dynamisch eingebunden waren. Ob die dahinterstehende IG Datenschutz ebenfalls involviert war, ist ungeklärt.

Das Gericht äußert deutliche Wort: Wer Websites gar nicht persönlich aufsucht, kann persönlich auch keine Verärgerung oder Verunsicherung über die Übertragung seiner IP-Adresse an Google in den USA verspüren. Wer demzufolge gar nicht weiß, welche Websites „in seinem Namen“ besucht werden, kann sich überhaupt nicht individuell Gedanken dazu machen, dass ihm aus der Übertragung seiner IP-Adresse Unannehmlichkeiten entstehen könnten, lautet der Leitsatz des Gerichts (LG München I, Urteil vom 30.03.2023, Az.: 4 O 13063/22).

Datenschutzverstoß provoziert

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass selbst ein automatisierter Besuch einer Website zu einem Datenschutzverstoß führen würde, wäre die anschließende Abmahnung unter dem Gesichtspunkt der „Tatprovokation“ nicht gerechtfertigt. „Wer sich bewusst und gezielt in eine Situation begibt, in der ihm eine Persönlichkeitsrechtsverletzung droht, gerade um die Persönlichkeitsverletzung an sich zu erfahren, um sodann daraus Ansprüche zu begründen, ist nicht schutzbedürftig“.

Ansprüche seien ausgeschlossen, wenn eindeutig vorrangiges Motiv eine Gewinnerzielung aufgrund entsprechender Datenschutzverstöße seien. Davon war hier auszugehen.

Im Übrigen kann man die Wucht der Welle noch einmal schwarz auf weiß bestätigt sehen: Die Zahl der Abmahnungen liege in einem niedrigen sechsstelligen Bereich, es müssen also mindestens 100.000 (!!!) Schreiben gewesen sein, heißt es im Urteil. Selbst wenn nur Betroffene im einstelligen Prozentbereich gezahlt haben, ergebe sich ein immenser Gewinn.

Zudem sei auch der erzielte Betrag von 340.000 Euro, welchen der Abmahnanwalt nannte (mit Unsicherheit nach oben, so das Gericht), ein erheblicher Betrag im Vergleich zu den vermutlich für den Einsatz des Webcrawlers und der Abmahnungen angefallenen Kosten. Demzufolge hätten nur 2.000 Personen der mindestens 100.000 Betroffenen den geforderten Betrag bezahlt. Das dürfte nach Einschätzung des Gerichts aber zu niedrig gegriffen sein.

Rückschlag für Massenabmahner

Das Gericht erachtet es als kaum denkbar, dass eine Privatperson nur aus Verärgerung über einen Datenschutzverstoß den mit der Versendung von mindestens 100.000 Abmahnschreiben verbundenen Aufwand auf sich nehmen wird, nur um auf den von ihm gesehenen Missstand beim Datenschutz aufmerksam zu machen.

Anhand der Nennung der geforderten Summe von 170 Euro handelte es sich wohlweislich um die des Martin Ismail mit seinem Rechtsanwalt Kilian Lenard, gegen die auch strafrechtlich ermittelt wird.

Über die Autorin

Yvonne Bachmann
Yvonne Bachmann Expertin für: IT-Recht

Yvonne ist schon seit Beginn ihrer juristischen Laufbahn mit Leib und Seele im IT-Recht unterwegs. Seit Anfang 2013 ist sie als Volljuristin beim Händlerbund tätig und berät dort hilfesuchende Online-Händler in Rechtsfragen rund um ihren Shop. Genausolange berichtet sie bei uns zu Rechtsthemen, welche die E-Commerce-Branche aufwirbeln. 

Sie haben Fragen oder Anregungen?

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Kommentare  

#2 Roland Bär 2023-05-24 16:16
Außer das Betrug festgestellt wurde, welche Strafe gab es?
Berufsverbot?
Oder man kann es ja mal versucht haben, wenn es nicht klappt ist es halt Schade

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Antwort der Redaktion

Hallo,

die Frage nach einer strafrechtliche n Bewertung oder gar eines Berufsverbotes war nicht Gegenstand des Verfahrend uns müsste wenn dann von einer anderen Stelle geklärt werden.

Mit den besten Grüßen
die Redaktion
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#1 Pete 2023-05-24 14:54
Wer Details dazu wissen möchte, kann sich den YouTube-Kanal von RA Dr. Max Greger ansehen. Er war derjenige, der die negative Feststellungskl age eingereicht hat vor dem LG München und berichtet darüber auf seinem YouTube-Kanal.
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