Oll oder toll?

Bei Yello wird der Klimawandel zur queeren Furie

Veröffentlicht: 22.02.2024 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 22.02.2024
Yello, Screenshot YouTube Werbevideo

Mut zahlt sich oft aus. Verlassen Unternehmen mit ihrer Werbung angestammte Pfade, wagen Neues und brechen mit Konventionen, können sie aus der Masse herausstechen. Immer gelingt das aber nicht. Manchmal lassen Kampagnen das Publikum etwas ratlos zurück. Uns stellt sich dann die Frage: Ist das heiß oder Scheiß? Krass oder blass? – In unserer Kommentar-Reihe „Oll oder toll?“ finden wir ganz persönliche Antworten. 

Die ersten Reaktionen auf Yellos neues Werbevideo klingen ganz gut: Kommentare wie „geile Schauspielerin“ oder „endlich mal wieder wirklich lustige Werbung“ unter dem YouTube-Video lassen schon zum Start der Kampagne erahnen, dass diese erfolgreich werden könnte. Die positiven Meinungen, die schon jetzt zu vernehmen sind, zeigen mal wieder, welch Gratwanderung Marketing manchmal sein kann. Denn die Werbung kann auch als queerfeindliches Kunststück begriffen werden.

Worum geht es?

Kurz und lapidar: Es geht um den Klimawandel – jenes menschengemachte Phänomen, das in der Lage ist, in all seiner zerstörerischen Kraft die bisherigen Verhältnisse auf der Erde aus den Angeln zu heben. Die Erwärmung der Erde, die Anhebung des Meeresspiegels, Dürren, Stürme, Überflutungen … man kennt es. 

Nicht grundlos haben sich viele Menschen dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben. Und auch immer mehr Unternehmen werben mit nachhaltigen Strategien und Maßnahmen, mit denen sie ihren Beitrag leisten wollen. Der Kölner Energieakteur Yello gehört dazu: Er bezeichnet sich als „fairer Stromanbieter“, der mit klimafreundlichen Angeboten aufwartet.

Weniger fair und freundlich zeigt sich allerdings die neue Kampagne des Unternehmens, die mithilfe queerer Klischees ein altbekanntes Feindbild aufgebaut. Auch das kennt man! Es ist ein vielfach genutztes Rezept: Aus verschiedenen Zutaten wird ein vermeintlich unterhaltsames Schmankerl gerührt, das im Resultat in der Lage ist, Vorurteile zu festigen und Feindseligkeit aufzubauen – egal, ob die Macher dies nun gezielt im Sinn hatten oder nicht.

Im konkreten Fall nehme man dafür eine extrovertierte und schrille Figur, verpacke sie in einen modisch mutigen, exzentrischen Goth-Fummel und spicke sie mit verbreiteten Stereotypen aus dem Bereich der Drag-Kunst. Heraus kommt die Kunstfigur „Klyma Wandl“, die im Zentrum von Yellos Kampagne steht.

Vulgäre Schurkenfigur im Comic-Stil

Als personifizierter Klimawandel macht Yellos Furie einen tollen Job: Durch ihre schlechte Laune und latente Aggressivität, ihre überspitzte Art der Kommunikation, die Pöbeleien und Vulgarität, ihren brennenden Hass gegen alles Positive (in diesem Fall eben alles Umweltbewusste) erinnert die schrille Kratzbürste stark an bekannte Schurkenfiguren aus Comics und Zeichentrickserien, denen wir in mannigfaltigen Gestalten seit unserer Kindheit begegnen. 

Dass sich Yello allerdings queerer Klischees bedient, um dieses Feindbild zu erschaffen, darf wohlwollend formuliert als naiv, wenig sensibel oder zumindest gleichgültig bezeichnet werden.

Denn während ein Teil des Publikums über die Bösewicht-Gestalt lacht, die auf ganz strikten Schwarz-Weiß-Deutungsmustern der Welt beruht, werden zugleich negative Vorstellungen rund um die queere Welt gefestigt und Ressentiments gestärkt: Drag ist laut und vulgär und bizarr und womöglich sozial unverträglich? Sorry, aber das sind absurde Klischees. Derart verkürzte Darstellungen machen sich außerdem nur zu gern Gruppen zunutze, die beispielsweise im Netz und anderswo Hass oder Verschwörungstheorien verbreiten.

Über Geschmack lässt sich streiten

Es ist erlaubt, diese Sichtweise auf die Kampagne als überzogen zu bezeichnen. Wie gesagt: Wahrnehmung ist eine sehr individuelle Sache. Wäre sie das nicht, müssten Unternehmen im Rahmen von Kampagnen keine Shitstorms befürchten, weil sie stets auf einhellige Zustimmung vertrauen dürften. 

Doch je nach Blickwinkel und Erfahrungswerten darf man annehmen, dass die neue Yello-Kampagne durchaus in der Lage ist, Menschen vor den Kopf zu stoßen: weil sie eine Verbindung zwischen queerer Individualität und tiefer Boshaftigkeit zieht und damit auf Kosten von Minderheiten Lacher abgreifen will. Die Bedeutung des Klimaschutzes kann gar nicht hoch genug eingestuft werden und sollte als Kampagnenthema taugen, auch ohne Minderheiten durch den Dreck zu ziehen.

Über die Autorin

Tina Plewinski
Tina Plewinski Expertin für: Amazon

Bereits Anfang 2013 verschlug es Tina eher zufällig in die Redaktion von OnlinehändlerNews und damit auch in die Welt des Online-Handels. Ein besonderes Faible hat sie nicht nur für Kaffee und Literatur, sondern auch für Amazon – egal ob neue Services, spannende Technologien oder kuriose Patente: Alles, was mit dem US-Riesen zu tun hat, lässt ihr Herz höherschlagen. Nicht umsonst zeigt sie sich als Redakteurin vom Dienst für den Amazon Watchblog verantwortlich.

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Kontaktieren Sie Tina Plewinski

Schreiben Sie einen Kommentar

Newsletter
Abonnieren
Bleibe stets informiert mit unserem Newsletter.