Retro im (Dauer-)Trend

Warum Schallplatten und Videospielklassiker wieder Millionenseller sind

Veröffentlicht: 19.11.2019 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 19.11.2019
Schallplatten

Wer dieser Tage ins Kino geht und die Volljährigkeit schon hinter sich hat, der verspürt ein akutes Déjà-vu. Hollywood spült Filme wie „Toy Story 4“, „Men in Black“, „Aladdin“ oder eine Neuauflage von „Chucky“ ins Kino. Und das sind nur die vermeintlichen Sommer-Blockbuster. Andere große Marken wie „Star Wars“, „Terminator“ oder „Jurassic World“ versuchen in guter Regelmäßigkeit, alte und neue Fans gleichermaßen zu bespaßen. Einmal davon abgesehen, ob man das nun besonders kreativ findet oder nicht, die Zweit-, Dritt- und Viert-Verwertung bekannter Stoffe erfüllt ihren Zweck: Im Jahr 2018 haben die Kinos weltweit schätzungsweise 41,1 Milliarden US-Dollar umgesetzt – so viel wie nie zuvor.

Das Stichwort heißt Nostalgie. „Wir haben eine Tendenz dazu, die negativen Erlebnisse der Vergangenheit auszublenden. Man denkt an die schöne Kindheit zurück und erinnert sich nur an die positiven Gesichtspunkte“, erklärt Prof. Dr. Kai-Markus Müller, Neurowissenschaftler und CEO der Neuromarketing Labs. Das nutzt auch und vor allem der Handel für sich aus, denn: „Das lässt sich natürlich auch auf Produkte übertragen. Produkte aus der Vergangenheit werden geistig positiv assoziiert.“ Das Geschäft mit der Nostalgie, mit Retro-Konsolen, mit Vintage-Mode, mit Neuinterpretationen bekannter Produkte, ist so ertragreich wie nie. Und es ist so gefragt wie nie: Wer bei Ebay den Begriff „retro“ ungefiltert in die Suche eingibt, erhält fast 2,3 Millionen Treffer, bei „vintage“ sind es gar mehr als drei Millionen. „Vintage-Artikel sind seit jeher fester Bestandteil des Angebots bei eBay. 3,3 Millionen eBay-Verkäufer, darunter überwiegend Privatverkäufer, sorgen für einen riesigen Vintage-Markt. Das Angebot reicht von Kleidung & Accessoires über Musikinstrumente bis hin zu Möbeln & Dekoration“, erklärt Ebay auf Nachfrage.

Sowohl die Suchanfragen nach diversen Retro-Produkten als auch die Verkäufe sind seit 2017 teils stark gestiegen, erste Zahlen für 2019 ließen darauf schließen, dass dieser Trend besonders in der Kategorie Fashion weiter anhalte: „Vintage-Kleidung im Allgemeinen, aber auch bestimmte Artikel wie die Gürteltasche oder Plateau-Schuhe bzw. -Sneaker stehen weit oben bei den Suchanfragen der eBay-Nutzer. Während die Suchanfragen für Vintage-Kleidung 2018 täglich zwischen 1.500 und 1.700 lagen, stiegen sie seit Anfang 2019 bis heute auf durchschnittlich 2.000 Suchanfragen an. Die Monate Februar und März konnten sogar über 3.000 Suchanfragen verzeichnen. Plateau-Sneaker wurden im letzten Jahr ca. alle 86 Sekunden am Tag gesucht, dieses Jahr durchschnittlich schon alle 60 Sekunden. Ähnlich verhält es sich mit der Gürteltasche, die im Vergleich 2018/2019 einen 200-prozentigen Anstieg in den Suchanfragen verzeichnen konnte.“

Inbegriff des Revivals: Die Schallplatte

Anders verhalte sich dies in der Kategorie Elektronik. Die Suchanfragen nach Schallplatten(-spielern) oder Walkmen befinden sich Ebay zufolge auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr. Spannt man den Bogen aber etwas weiter, wird deutlich welch ein enormes Revival die Vinylplatte seit ein paar Jahren erlebt. Bis ins Jahr 2006 nahm der Absatz von Schallplatten kontinuierlich ab. 2006 wurden der GfK zufolge gerade noch etwa 300.000 Schallplatten verkauft. Das entsprach einem Umsatz von sechs Millionen Euro. Schon das ist für sich genommen nicht wenig, im Vergleich sowohl mit der Entwicklung in den Folgejahren als auch mit anderen Medien allerdings verschwindend gering. Erst die Kassette, dann die CD machten die Schallplatte eigentlich obsolet. Anders als Kassette und CD aber geht die Platte heutzutage fast als Kassenschlager durch. Nach 2006 wuchs der Absatz erst langsam, dann merklich an bis zur Spitze im Jahr 2017, als allein in Deutschland 3,3 Millionen Platten verkauft wurden. 2018 waren es mit 3,1 Millionen nur unwesentlich weniger. 2008 wurde der Record Store Day ins Leben gerufen, der spätestens seit 2013 ein weltweites Phänomen ist. Künstler legen eigens LP-Editionen für diesen Tag auf, der die Schallplatte in den Mittelpunkt rückt.

Aber warum hat es dieser komplexe, aufwendige Tonträger in Zeiten, in denen Musik überall dauerverfügbar ist, geschafft, wieder ein relevantes Medium zu werden? Zwar ist die Vinylscheibe samt Plattenspieler in der Regel nach wie vor ein Liebhaberstück, Verfechter der Scheibe schwören aber auf ihren klaren, unkomprimierten Klang. Und sie sind bereit, eine Menge Geld für ihre Leidenschaft in die Hand zu nehmen. Sven Albrecht vertreibt über „albis-retro-handel“ Abtastnadeln und Tonabnehmer-Systeme für Plattenspieler. Er hat sich quasi auf die Nische in der Nische spezialisiert. Vor etwa sechs Jahren hat er angefangen, bei Ebay zu verkaufen, heute hat Albrecht zwischen 600 und 1.000 Artikel im Sortiment und verkauft Tonabnehmer-Systeme durchaus schonmal für 150 Euro und mehr.

„Die hochwertigen Nadeln und Systeme werden meist von Kunden zwischen 25 und 65 Jahren gekauft, um den Plattenspieler aufzurüsten und noch mehr aus dem Spieler rauszuholen“, sagt Albrecht. Es sei „einfach ein schönes Gefühl, die Musik als Tonträger in den Händen zu halten und den super Sound (mit dem richtigen Equipment) zu hören. Wenn die Nadel des Systems auf das Vinyl trifft und der Sound einem um die Ohren bläst – das ist einfach ein Erlebnis.“ Interessanterweise sind es aber nicht nur die älteren Generationen, die den Klang der Schallplatte auf einem guten Plattenspieler schätzen. Das ist auch Albrecht aufgefallen: „Ich merke auch bei mir im Bekanntenkreis, dass immer mehr jüngere Leute (zwischen 18 und 30 Jahren) mich nach Empfehlungen für Plattenspieler-Typen fragen.“ Stellt sich die Frage: Warum interessieren sich junge Menschen, die weder die 90er Jahre, geschweige denn die Hochzeit der Schallplatte erlebt haben, für derart antiquierte Produkte?

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Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

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