Bundessozialgericht

Anspruch auf Krankengeld besteht auch bei verspätetem Attest

Veröffentlicht: 26.09.2023 | Geschrieben von: Julia Petronis | Letzte Aktualisierung: 26.09.2023
Leeres Wartezimmer

Arbeitnehmer:innen haben auch dann einen Anspruch auf Krankengeld von ihrer Krankenkasse, wenn sie ohne eigenes Verschulden erst kurz nach dem Ablauf einer vorherigen Krankschreibung eine Verlängerung erhalten – so die jüngste Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 21.09.2023 - B 3 KR 11/22 R). Im Fall der über einen langen Zeitraum krankgeschriebenen Arbeitnehmerin hatte die Krankenkasse eingewandt, dass eine Arbeitsunfähigkeit lückenlos bescheinigt werden müsse. Das BSG und auch schon die Vorinstanzen sahen in dem Fall jedoch eine Ausnahme und gaben der Angestellten Recht.

Volles Wartezimmer – kein Zutritt

Die Arbeitnehmerin war über einen längeren Zeitraum wegen einer Operation an der Schulter krankgeschrieben und bezog durchgehend Krankengeld. Als die Krankschreibung auslief, ging sie am darauffolgenden Tag, dem 18. Juni 2018, zu ihrem Hausarzt – und wurde dort abgewiesen. Eine Helferin der Praxis wies sie deutlich darauf hin, dass aufgrund des vollen Wartezimmers keine Möglichkeit bestehe, sie an diesem Tag zum Arzt durchzulassen. Sie solle in zwei Tagen wiederkommen, dann könne die Bescheinigung zurückdatiert werden, erläutert beck-aktuell den Sachverhalt.

Die Krankenkasse wollte sich mit dem Krankenschein vom 20. Juni 2018 jedoch nicht zufriedengeben und wies darauf hin, dass die Arbeitsunfähigkeit schließlich lückenlos bescheinigt werden müsse. Ohne vereinbarten Termin habe die Frau sich nicht darauf verlassen können, noch am selben Tag beim Arzt vorstellig zu werden. 

Zumutbarkeit ist entscheidend

Die Richter des BSG betonten, dass Versicherte zwar grundsätzlich dafür zu sorgen haben, dass die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig bescheinigt wird. Allerdings könne es davon auch enge Ausnahmen geben. 

„Einem 'rechtzeitig' erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit steht es danach gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden beziehungsweise -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (...) zu erhalten”, stellten die Richter des BSG fest. 

Verhältnismäßigkeit bewahren

Im vorliegenden Fall waren die Gründe für die verspätete Vorstellung der Patientin dem Arzt und der Krankenkasse zuzurechnen und nicht der Patientin. Der Anspruch auf weiteres Krankengeld wird demnach auch dann gewahrt, „wenn der Versicherte ohne zuvor vereinbarten Termin am ersten Tag nach einer zuvor festgestellten Arbeitsunfähigkeit die Praxis des behandelnden Arztes zur üblichen Öffnungszeit persönlich aufsucht”. Liegen keine besonderen Umstände vor, so dürfen Patient:innen grundsätzlich darauf vertrauen, auch ohne Termin eine Folgefeststellung des behandelnden Arztes wegen derselben Krankheit zu bekommen, wenn sie die Praxis noch am letzten anspruchserhaltenden Tag zu den üblichen Öffnungszeiten aufsuchen. 

Die Richter des BSG gaben zu bedenken, dass vor allem aufgrund der Schwere des Nachteils, den ein dauerhafter Verlust des Krankengeldanspruchs für die Betroffenen bedeuten würde, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss.

Über die Autorin

Julia Petronis
Julia Petronis Expertin für: IT- und Medien-Recht

Julia ist seit April 2021 als juristische Redakteurin bei uns tätig. Während ihres Studiums der Rechtswissenschaften in Leipzig konzentrierte sie sich vor allem auf das Medien- und IT-Recht, sowie das Wettbewerbs- und Urheberrecht – und kann dieses Wissen heute auch „in der echten Welt“ einsetzen.

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