Diversity & Recruiting

Sprache in Stellenanzeigen: Warum der Hinweis „m/w/d“ nicht genug ist

Veröffentlicht: 31.05.2023 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 31.05.2023
Frau sucht am Computer nach Jobs

Um neue Beschäftigte für Aufgaben in der eigenen Firma zu finden, sind im Recruiting-Prozess Stellenausschreibungen üblich. Die Gesuche werden auf den eigenen Firmen-Webseiten, in Jobbörsen sowie auf entsprechenden Online-Portalen und in weiteren Medien in aller Regel schriftlich veröffentlicht und enthalten zumeist den gesuchten Jobtitel, Informationen zum Unternehmen, Tätigkeitsbeschreibungen und einen Anforderungskatalog. Und interessanterweise klingen sie oft ganz ähnlich. 

Dass das nicht immer von Vorteil ist und bestimmte Formulierungen Personen, die eigentlich eine passende Qualifikation haben, mitunter gar nicht abholen oder sogar abschrecken und diese sich somit weniger bewerben, weiß Lisa Krawczyk, Expertin für inklusive Sprache bei der B2B-Kommunikationsagentur Presigno. Im Interview verrät sie, worauf es in den Stellenanzeigen ankommt und mit welchen sprachlichen Mitteln und Inhalten Unternehmen es schaffen können, unterschiedliche Menschen für sich zu begeistern – und warum sie das auch tun sollten.

Warum Gesuche auf weibliche Fachkräfte abschreckend wirken können

OnlinehändlerNews: Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, dass sich Unternehmen mit Diversity und Inklusion im Recruiting-Prozess auseinandersetzen? 

Lisa Krawczyk: Sehr wichtig! Zunächst gilt es natürlich, die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Das wäre in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dieses besagt, dass bei einer Bewerbung niemand zum Beispiel wegen des Geschlechts, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion, einer Behinderung oder der sexuellen Identität benachteiligt werden darf. Im Recruiting-Prozess bedeutet dies, dass Unternehmen ihre Einstellungspraktiken und -kriterien überprüfen müssen, um sicherzustellen, dass sie sich an alle potenziellen Bewerbergruppen wenden und Diskriminierung vermeiden. 

Besser ist noch, wenn sie gezielt nach Bewerber:innen suchen, die eine breite Palette von Hintergründen und Erfahrungen mitbringen. Denn dafür gibt es viele gute Gründe: Da wäre zum einen der Fachkräftemangel, von dem kaum eine Branche verschont bleibt. Unternehmen müssen sich hier öffnen und Lebensläufe flexibler denken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zum anderen ist erwiesen, dass diverse Teams erfolgreicher arbeiten, weil sie ein breites Spektrum an Perspektiven und Erfahrungen mitbringen, die zu einer höheren Innovationskraft und besseren Entscheidungsfindung führen können. 

Wie inklusiv sind Firmen aktuell im Bewerbungsprozess, etwa bei Stellenanzeigen, aufgestellt?  

Das variiert natürlich je nach Branche, Region oder Unternehmensgröße, aber generell würde ich sagen, dass es noch Ausbaupotenzial gibt. So hat beispielsweise Stepstone vor nicht allzu langer Zeit die Sprache von mehr als einer halben Million Jobbeschreibungen, die zwischen Dezember 2020 und Mai 2021 auf seiner Plattform hochgeladen wurden, untersucht. Das Ergebnis: 96 Prozent beinhalteten geschlechtsspezifische Formulierungen – und deutlich mehr männliche als weibliche. Gemeint ist damit: Wir haben unterbewusst verinnerlicht, dass agentische Eigenschaften eher Männern zugeschrieben werden, und kommunale Eigenschaften eher Frauen.

In Stellenausschreibungen schlägt sich das nieder, wenn „Eigenständigkeit“ statt „Teamorientierung“ oder „Durchsetzungsstärke“ statt „Verantwortungsbewusstsein“ gefragt werden. Dabei wissen wir durch Studien, die teilweise bis in die 1970er Jahren zurückreichen, schon lange, dass Frauen sich von solch männlich codierten Attributen abschrecken lassen. Für Bias [Voreingenommenheit, Anm. d. Red] wie diese muss noch mehr Sensibilität geschaffen werden. 

Wenn Stellenanzeigen nun aber durch Formulierungen nicht mehr primär nur männliche Bewerber ansprechen – könnten diese dann vergrault werden?

Um es ganz kurz zu machen: Nein. Eine Studie der TU München hat gezeigt, dass bei Männern die Wortwahl im Ausschreibungstext keinen Unterschied macht. 

Warum das so ist, kann ich nur mutmaßen. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass etwa Frauen Stellenanzeigen generell gründlicher lesen und sich dabei weitaus kritischer mit den Anforderungen an die eigenen Fähigkeiten auseinandersetzen. Sie trauen sich nicht so viel zu wie ihre männlichen Mitbewerbenden – selbst wenn die Qualifikationen vergleichbar sind.  

Was zählt, ist der Gesamteindruck einer Stellenanzeige

Oftmals werden in Stellengesuchen Jobtitel im generischen Maskulinum genannt, der Hinweis „m/w/d“ dahinter soll wiederum darauf hindeuten, dass sich nicht nur männliche Personen bewerben können. Funktioniert das? 

Nein, der Zusatz allein reicht dafür nicht aus. Wenn sich beispielsweise Frauen von männlich konnotierten Begriffen abschrecken lassen, legt das nahe, dass es bei Jobbezeichnungen im generischen Maskulinum genauso ist – Hinweis hin oder her. Deswegen empfehle ich einen möglichst neutralen Titel zu wählen wie Teamleitung anstatt Teamleiter. 

Dass der Zusatz „m/w/d“ verpflichtend sei, ist übrigens eine Fehlannahme. Allein dadurch wird man dem Anspruch des AGG nicht gerecht. Vielmehr zählt der Gesamteindruck einer Stellenanzeige. 

Wer fördern will, dass sich nicht nur männliche (cis) Personen bewerben, sollte generell auf eine möglichst geschlechtsneutrale Formulierung achten. In der Stellenanzeige sollten Unternehmen außerdem betonen, dass sie Vielfalt und Inklusion schätzen und offen für Bewerber:innen aller Geschlechter, ethnischen Hintergründe und Lebensweisen sind. Damit das allerdings nicht eine inhaltsleere Floskel bleibt, sind konkrete Maßnahmen anzugeben, mit denen diesem Wert Ausdruck verliehen wird, z. B. Schulungsangebote zur Vermeidung von Vorurteilen oder ähnlichem. 

„Unnötig hohe Anforderungen verringern den Bewerbungspool“

Rein in die Praxis: Mit welchen Formulierungen können Job-Inserate inklusiver wirken? Worauf sollte geachtet werden, um beispielsweise mehr Frauen, Menschen mit Behinderungen oder Fachkräfte aus dem Ausland und/oder mit Migrationsgeschichte usw. anzusprechen? 

Dass eine möglichst geschlechtsneutrale Formulierung gut ist, haben wir ja bereits herausgestellt. Aber natürlich gibt es noch viel mehr, auf das es zu achten gilt. Wie schnell preist man gedankenlos ein „junges Team“ an und wertet damit indirekt potenzielle ältere Bewerber:innen ab? Wichtig ist, die Anforderungen für die Stelle klar und präzise zu formulieren, ohne unnötig viele Einschränkungen vorzugeben. 

Zur Ansprache von Fachkräften aus dem Ausland und/oder Personen mit Migrationsgeschichte ist es wichtig, mögliche sprachliche Barrieren abzubauen: Ist die Stellenausschreibung auch auf Englisch vorhanden? Unternehmen sollten prüfen, dass die Anforderungen an die Sprachkenntnisse auf die tatsächlichen Anforderungen der Stelle bezogen sind. Für wen Texten auf Deutsch nicht zu den täglichen Aufgaben gehört, braucht keine Deutschkenntnisse auf Muttersprache-Niveau. Unnötig hohe Anforderungen verringern den Bewerbungspool. Für Menschen mit Behinderungen sind Informationen zu barrierefreien Arbeitsbedingungen wichtig. Sind die Arbeitsplätze entsprechend eingerichtet oder gibt es alternativ die Option, remote zu arbeiten? 

Was kann in einer Stellenanzeige oder auch im weiteren Bewerbungsprozess eher abschreckend auf bestimmte Gruppen wirken? 

Neben einer diskriminierungsfreien Sprache spielen die Inhalte auch eine große Rolle. Unternehmen müssen genau prüfen, was wirklich Voraussetzung zur Erfüllung des Jobs ist. Viele Erfahrungen können neue Mitarbeitende erst noch sammeln, wenn sie diese nicht mitbringen. Sind Arbeitszeiten und andere Arbeitsumstände zu eng gefasst, kann dies für manche Bewerber:innen problematisch sein, wenn sie beispielsweise familiäre Verpflichtungen haben.

Darüber hinaus hört Inklusion nicht bei der Stellenausschreibung auf, sondern betrifft den gesamten Bewerbungsprozess, der flexibler gestaltet und vielleicht sogar individuell anpassbar gemacht werden muss. 

Sollte in Stellenanzeigen gendersensible Sprache genutzt werden? 

Stellenanzeigen sollten möglichst in geschlechtsneutraler Sprache verfasst werden und dort, wo sich geschlechtsspezifische Formulierungen nicht vermeiden lassen, sensibel formuliert sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen und niemand diskriminiert wird. 

Benutzen Unternehmen etwa das Gendersternchen in Stellenanzeigen, verleihen sie damit einer Haltung Ausdruck. Natürlich kann es sein, dass diese Haltung nicht überall auf Zustimmung stößt und sich eine Person aus diesem Grund nicht bewirbt. Auch wenn sie fachlich passend für die Position wäre, so wäre sie nach aller Voraussicht keine Bereicherung für die Arbeitskultur des Unternehmens. 

Diversity-Management: Unternehmen sollten zuerst den Blick nach innen richten

Nicht alle Firmen, die sich nun beispielsweise um eine inklusive Ansprache in Stellenanzeigen bemühen, haben auch schon eine dazu passende Unternehmenskultur. Wie authentisch sind dann beispielsweise gendersensible Ansprachen oder andere inklusive Formulierungen? Sollten Firmen lieber erst in der eigenen Kultur nachbessern, bevor sie die Gesuche anpassen?

Wer nur in der Stellenanzeige eine inklusive Ansprache hat, ist null authentisch und wird in der Regel auch schnell entlarvt. Schließlich werfen die meisten Bewerber:innen vorab einen Blick auf die Website oder Social-Media-Kanäle eines Unternehmens. Deckt sich der Eindruck dort nicht mit dem in der Stellenanzeige, ist das ganz klar Rainbow- oder Pinkwashing, was zu einem Imageschaden für das Unternehmen führen kann.

Das Gleiche gilt für den Fall, dass es zur Einstellung kommt, aber der:die neue Mitarbeitende merkt, dass die Werte, die in der Stellenausschreibung propagiert wurden, nicht gelebt werden. Deswegen: Ja, Unternehmen sollten zuerst den Blick nach innen richten, bevor sie ihre Kommunikation nach außen umstellen. 

Wo finden interessierte Personalverantwortliche passende Inspiration?

Mögliche Inspirationsquellen gibt es viele. Auf LinkedIn gibt es zahlreiche Influencer:innen, die sich mit verschiedenen Diversitäts- und Inklusionsaspekten auseinandersetzen. Eine tolle Initiative für mehr Diversity in der Arbeitswelt ist die Charta der Vielfalt, die auch jedes Jahr eine große Konferenz zum Thema veranstaltet. Unter den Speaker:innen sind dort auch einige Unternehmensvertreter:innen, die als Best Practices nützliche Erfahrungswerte teilen.

Hinzu kommen zahlreiche Initiativen, die sich auf einen bestimmten Teilaspekt fokussieren und nur eine Google-Recherche entfernt sind. Und wenn statt Inspiration tatkräftige Unterstützung gefragt ist, gibt es Agenturen wie unsere, die etwa in Webinaren zu Female Recruiting schulen oder Stellenausschreibungen und andere Texte hinsichtlich ihrer Inklusivität prüfen können. 

Worauf können Unternehmen in der eigenen Unternehmenskommunikation noch achten, um nachhaltig authentisch als diverser bzw. inklusiv wahrgenommen zu werden?

Der Schlüssel ist Transparenz. Unternehmen sollten ihre Werte und die Tatsache, dass sie Diversität als Stärke betrachten, nicht nur betonen, sondern diese Worte auch mit Taten untermauern. Also konkrete Maßnahmen durchführen, um Inklusion zu fördern und Diskriminierung abzubauen. Und diese internen Prozesse gilt es extern offenzulegen. Einige Unternehmen veröffentlichen bereits regelmäßig Diversity-Reporte.

In diesen werden einerseits Daten zur Zusammenstellung der Mitarbeitenden sowie zu Rekrutierungs- oder Beförderungsstrategien festgehalten. Andererseits werden auch konkrete Ziele beschrieben, etwa ein bestimmter Anteil von Frauen oder Personen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen, sowie die Maßnahmen, mit denen diese erreicht werden sollen.

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass Unternehmen nicht nur Erfolge kommunizieren, sondern auch Herausforderungen und ehrlich sagen: Hier gibt es noch Optimierungsbedarf, aber wir arbeiten dran. Kein Unternehmen ist perfekt. Wer sich aber als perfekt inszeniert, ist nicht glaubwürdig.   

Vielen Dank für das Gespräch!


Über Lisa Krawczyk und Presigno:

Lisa Krawczyk | Presigno

Lisa Krawczyk ist Expertin für inklusive Sprache und arbeitet seit 2017 als Content-Marketing-Managerin bei Presigno, einer Agentur für B2B-Kommunikation mit dem Standort Dortmund. Zuvor war sie einige Jahre lang als (Print-/Online-)Redakteurin für ein Magazin tätig. Sie hatte während ihres Germanistik- und Anglistik-Studiums an der Universität Duisburg-Essen erste Berührungspunkte mit dem Forschungsbereich Gender Studies, welches ihr Interesse für die geschlechtergerechte Ansprache geweckt hat. Sie gibt regelmäßig Webinare, zum Beispiel zum Gendern oder Female Recruiting.

Pressearbeit, crossmediales Content-Marketing sowie Social-Media-Marketing gehören zum Leistungsspektrum von Presigno. Zum Kundenstamm zählen größtenteils mittelständische Unternehmen aus den Branchen Bauindustrie und Architektur. Strategische Beratungsschwerpunkte liegen in der Kommunikation zu Nachhaltigkeits- und Diversity-Themen.

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Über die Autorin

Hanna Behn
Hanna Behn Expertin für: Usability

Hanna fand Anfang 2019 ins Team der OnlinehändlerNews. Sie war mehrere Jahre journalistisch im Bereich Versicherungen unterwegs, dann entdeckte sie als Redakteurin für Ratgeber- und Produkttexte die E-Commerce-Branche für sich. Als Design-Liebhaberin und Germanistin hat sie nutzerfreundlich gestaltete Online-Shops mit gutem Content besonders gern.

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Kontaktieren Sie Hanna Behn

Kommentare  

#2 Torsten 2023-06-02 09:55
Es ist schon bedenklich, wenn es Firmen wichtiger ist zu gendern, als qualifizierte Leute einzustellen, die davon nichts halten. Warum nicht neutral und jeden seine Sprache lassen?
DU / SIE ist das Gleiche. Wenn ich als Firma DU bevorzuge, muss das auch in die Bewerbung.
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#1 DIETERBRANDES 2023-06-01 12:10
Genau. Man kann sich ja so ausdrücken, das man schreibt. Wir suchen Menschen.... ähnlich wie man sich total gestelzt ausdrückt, wenn man weder Duzen noch Siezen will.
Dann umgeht man auch das ohnehin alberne, ungeschickte und undiplomatische Gendern.
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