Gastartikel

Das Gender-Dilemma: Wie Marken überholte Rollenklischees vermeiden

Veröffentlicht: 05.04.2024 | Geschrieben von: Gastautor | Letzte Aktualisierung: 05.04.2024
Zwei Rasierer mit Preisschild, rosafarbender ist teurer als schwarzer

Whiskey-Schokolade für ihn, nach Rosen duftende Bodylotion für sie – derlei geschlechterbezogene Werbeaussagen begegnen uns überall. Doch ist das noch so richtig zeitgemäß? Josephine Wick Frona, Head of Marketing für den deutschsprachigen Raum bei HubSpot, rät, bei der Werbeansprache nicht nur sensibler vorzugehen, sondern auch mehr Zielgruppen in den Fokus zu rücken. Ein Gastbeitrag.

Das sogenannte Gender-Marketing ist eine Strategie, die das Ziel hat, Produkte und Dienstleistungen spezifisch für Männer oder Frauen zu gestalten und zu vermarkten. Bei dieser Strategie werden die unterschiedlichen Bedürfnisse, Vorlieben und Verhaltensweisen der Geschlechter berücksichtigt. Beim Gender-Marketing geht es aber nicht nur um die Frage des jeweiligen Geschlechts, also ob jemand ein Mann oder eine Frau ist, sondern auch um die Geschlechterrollen, die durch unsere Gesellschaft und Kultur geformt werden.

Da die Grenzen dieser Rollen zunehmend verschwimmen und die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten stärker berücksichtigt werden muss, sollte Gender-Marketing mit Bedacht und Sensibilität angewendet werden. Denn oft ist es nur ein kleiner Schritt zwischen einer gewollten Ansprache geschlechtsspezifischer Präferenzen und einer ungewollten Verstärkung überholter Rollenklischees. 

Natürlich ist es wichtig, bestimmte Produkte tatsächlich unterschiedlich für Männer und Frauen zu konzipieren und zu bewerben – zum Beispiel Rasierer oder Pflegeprodukte. Werbetreibende sollten aber die Individualität und Vielfalt ihrer Zielgruppen respektieren und veraltete Stereotypen vermeiden. Vor der Anwendung von Gender-Marketing sollten sich Werbetreibende auch über die möglichen Kritikpunkte im Klaren sein. 

Was spricht gegen Gender-Marketing?

Die Verstärkung überholter Rollenklischees und Gender-Stereotypen ist wohl eines der wichtigsten Argumente gegen Gender-Marketing. Produkte und Werbekampagnen, die auf traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit basieren, tragen dazu bei, stereotype Geschlechterrollen zu zementieren. Fatal kann dies insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sein, wenn ihnen vorgeschrieben wird, welche Interessen, Eigenschaften und Verhaltensweisen für ihr Geschlecht angemessen sind. 

Gender-Marketing basiert oft auf einer binären Sichtweise, nach der es nur zwei Geschlechter – männlich und weiblich – gibt. Diese Herangehensweise ignoriert aber die Existenz von nicht-binären, transgender und intergeschlechtlichen Personen. Ein weiteres Problem ist das sogenannte Gender Pricing, bei dem Produkte, die speziell für Frauen oder Männer vermarktet werden, unterschiedliche Preise haben, obwohl sie in Funktion und Qualität ähnlich sind. Häufig bezahlen Frauen mehr für Produkte, die als „weiblich“ vermarktet werden. 

Wann Gender-Marketing zum Bumerang wird

Ein Beispiel, wie Gender-Marketing nicht gestaltet werden sollte: Ein Unternehmen, das sich auf Mode spezialisiert hat, betreibt geschlechtsspezifisches Marketing und bewirbt Kleidung als „nur für Frauen“ und „nur für Männer“. Das Problem: Nicht-binäre Kundschaft wird auf diese Weise ausgeschlossen. Wenn sie sich nicht angesprochen fühlt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei diesem Unternehmen Produkte erwirbt, gering. 

Ist genderneutrales Marketing die Lösung?

Beim genderneutralen Marketing oder Post-Gender-Marketing geht es um eine Marketingstrategie, die bewusst auf geschlechtsspezifische Ansprachen und Stereotype verzichtet, um Produkte und Dienstleistungen geschlechtsneutral zu präsentieren. 

Ist diese Strategie also das Allheilmittel? Nein, denn wenn das Geschlecht in der Marketingkommunikation vollständig neutralisiert wird, werden die spezifischen Bedürfnisse und Vorlieben möglicherweise übersehen. Mit anderen Worten: Wo bleibt das Individuum, wenn in der Marketingkommunikation nur noch verallgemeinert wird?

Der Königsweg: Gendersensibles Marketing

Während genderneutrales Marketing darauf abzielt, jegliche geschlechtsspezifischen Zuordnungen in der Werbung und Produktgestaltung zu eliminieren, ist das Ziel bei Gender-sensiblem Marketing, eine inklusive Ansprache für alle Geschlechter zu schaffen. Es berücksichtigt die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten und zielt darauf ab, individuelle Bedürfnisse und Vorlieben unabhängig vom Geschlecht anzusprechen.

Wie lässt sich Gender-sensibles Marketing gestalten?

Stereotype vermeiden: Gender-Marketing sollte ausschließlich bei Produkten und Dienstleistungen angewendet werden, die tatsächlich geschlechtsspezifische Vorteile bieten. Ein solches Produkt können zum Beispiel Schwangerschaftsvitamine sein. Da Schwangerschaft eine Erfahrung ist, die ausschließlich Personen mit weiblichen Fortpflanzungsorganen betrifft, ist eine gezielte Ansprache dieser Zielgruppe nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig.

Buyer Personas aktualisieren: Diese sollten kontinuierlich an aktuelle Gegebenheiten und sich verändernde Kundenbedürfnisse angepasst werden. Dabei sollte stets die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten berücksichtigt und die Ansprache entsprechend individualisiert werden. Ein Beispiel: Ein Modeunternehmen arbeitete bislang mit den Buyer Personas „Geschäftsmann Michael“ und „berufstätige Mutter Annette“. Die Ergebnisse einer Marktforschung führten dazu, dass neue Personas erstellt werden: „Kim, die nicht-binäre Person, die Wert auf Nachhaltigkeit legt“ und „Ragnar, der modebewusste Mann, der Komfort und Stil schätzt“. Diese neuen Personas berücksichtigen eine breitere Palette von Geschlechtsidentitäten und Lebensstilen und ermöglichen es dem Unternehmen, seine Marketingstrategien und Produktangebote entsprechend anzupassen. Im Ergebnis führt dies unter anderem dazu, dass das Unternehmen als Marke wahrgenommen wird, die Diversität und Inklusion wertschätzt. 

Veraltete Klischees vermeiden: Eine moderne Marketingkommunikation sollte die Vielfalt und Individualität der Menschen widerspiegeln, ohne in stereotype Darstellungen zu verfallen. Ein Beispiel: Ein Spielzeughersteller, hat sich entschieden, seine Werbekampagnen neu zu gestalten. Traditionell wurden bei ihm Spielzeuge bislang nach Geschlecht kategorisiert: Puppen für Mädchen, Bausteine für Jungen. In seiner neuen Kampagne spielen Kinder aller Geschlechter gemeinsam mit einer Vielzahl von Spielzeugen: Auch Mädchen bauen mit Bausteinen komplexe Strukturen, auch Jungen umsorgen liebevoll Stofftiere. So fördert die Kampagne die Botschaft, dass alle Kinder das Recht haben, mit jedem Spielzeug zu spielen, das ihre Interessen und Fähigkeiten fördert. 

Bei Produktentwicklung und Werbung auf Diversität achten: Die Individualität der Menschen sollte bereits bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden – und natürlich auch später in der Werbung. Wichtig ist das Bewusstsein, dass weder alle Männer noch alle Frauen gleich sind. Ein Beispiel: Ein Kosmetikunternehmen bringt eine neue Hautpflegelinie auf den Markt. Statt die Produkte traditionell als „für Männer“ oder „für Frauen“ zu vermarkten, entscheidet sich das Unternehmen für eine diversitätsbewusste Herangehensweise. Es entwickelt Produkte, die auf verschiedene Hauttypen und -bedürfnisse ausgerichtet sind – und nicht auf ein bestimmtes Geschlecht. Die Werbekampagne zeigt folglich Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Altersgruppen und Hautfarben, die die Produkte verwenden. Durch diese Strategie betont das Kosmetikunternehmen, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht nach Produkten suchen, die ihre spezifischen Hautprobleme ansprechen. Es spricht eine breitere Zielgruppe an und positioniert sich als Marke, die die Individualität und Vielfalt ihrer Kunden wertschätzt.

Fazit

Das Konzept des Gender-Marketings, bei dem Zielgruppen nach Männern und Frauen unterteilt werden, muss überdacht werden. Während für bestimmte Produkte eine solche Einteilung nicht nur sinnvoll, sondern auch erforderlich ist, führt eine Marketingstrategie, die sich auf veraltete Geschlechterstereotype stützt, heute nicht mehr zum Erfolg. Vielmehr ist es wichtig, die Individualität und Vielfalt der Zielgruppen zu würdigen. Mithilfe von Gender-sensiblem Marketing spricht das Unternehmen die passenden Zielgruppen an, ohne Stereotype zu verwenden.


Josephine Wick Frona / HubSpot

Über die Autorin 

Josephine Wick Frona ist Head of Marketing DACH beim Plattformanbieter HubSpot.

In ihrer Position leitet sie das deutschsprachige Marketingteam und ist damit für die Bereiche PR & Brand, Social Media, Co-Marketing, Product Marketing und Revenue Marketing verantwortlich. 

 

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Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Kommentare  

#1 Torsten 2024-04-08 09:24
Werbung und Texte solle heute max. 2 % der Bevölkerung ansprechen anstatt das 98 % konkret angesprochen werden.
Vielleicht geht es in unseren Breiten auch nur deshalb Bergab, weil wir über die wirklich wichtigen Dinge nicht mehr nachdenken, um es allen Gerecht zu machen.
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