Fehler bei Massenentlassungen

EuGH beschränkt Rechte von Arbeitnehmenden

Veröffentlicht: 14.07.2023 | Geschrieben von: Julia Petronis | Letzte Aktualisierung: 14.07.2023
Hand stößt mehrere Personen an

Will ein Unternehmen mehrere Arbeitnehmende gleichzeitig entlassen, sind an dieses Vorgehen große Hürden geknüpft. Sinn und Zweck dieser erschwerten Vorgaben bei den sogenannten Massenentlassungen ist vor allem der Schutz der Arbeitnehmenden. Eine dieser Hürden ist beispielsweise die Verpflichtung des Arbeitgebenden, den Behörden schon frühzeitig eine beabsichtigte Massenentlassung anzuzeigen. Diese Übermittlungspflicht ergibt sich aus § 17 Absatz 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). 

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) haben Fehler im Rahmen der Übermittlungspflicht in der Regel zur Unwirksamkeit der Kündigung geführt. Das führte zu großen wirtschaftlichen und praktischen Auswirkungen auf Unternehmen. In den vergangenen Jahren hatte das BAG die Anforderungen an die Massenentlassungsanzeige sogar stetig erhöht. Der Auffassung zur Unwirksamkeit der Kündigung folgte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem gestrigen Urteil allerdings nicht. Aus einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige ergebe sich demnach kein Individualschutz der Arbeitnehmenden.

Vorabentscheidung durch den EuGH

Macht ein Unternehmen Fehler im Rahmen der Anzeige von Massenentlassungen bei der Agentur für Arbeit, führt das nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, entschied der EuGH (Urt. v. 13.07.2023, Az. C-134/22 G GMBH). Damit werden zumindest bei Verstößen gegen die Übermittlungspflicht die Hürden etwas herabgesenkt. Ob auch bei anderen Fehlern im Konsultations- oder Anzeigeverfahren die strenge Folge der Unwirksamkeit der Kündigung bestehen bleibt, hat der EuGH damit aber noch nicht abschließend geklärt. Das BAG hatte im Mai 2023 einige Verfahren aussetzen müssen und den EuGH um Vorabentscheidungen angerufen. Da eine abschließende Positionierung des EuGH zu den weiteren Fragen ausblieb, werden nun neue Vorlageverfahren notwendig sein, berichtet LTO.

Notwendigkeit und Folgen der Anzeige

Im Falle einer geplanten Massenentlassung haben Arbeitgebende nicht nur das Anzeigeverfahren bei der Agentur für Arbeit nach dem KSchG durchzuführen, sondern es muss auch der Betriebsrat im sogenannten Konsultationsverfahren beteiligt werden. Dabei soll darüber beraten werden, ob Entlassungen vermieden oder abgemildert werden können. Nach der Massenentlassungsrichtlinie und dem KSchG muss der Agentur für Arbeit sogar noch vor der eigentlichen Massenentlassungsanzeige eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zugeleitet werden. Das soll eine möglichst frühzeitige Information der Behörde sicherstellen. 

Das BAG ging bisher davon aus, dass Verstöße gegen die Pflichten des Arbeitgebenden bei Massenentlassungen die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge haben, wenn die jeweilige Regelung zumindest auch die Interessen der Beschäftigten schützt, also individualschützende Wirkung hat. 

Bei der Übermittlungspflicht konnte der EuGH eine solche individualschützende Wirkung allerdings gerade nicht erkennen. Vielmehr ginge es bei der Regelung darum, dass die zuständige Behörde informiert wird und Maßnahmen ergreifen kann. Die Übermittlung folge daher reinen Informations- und Vorbereitungszwecken. 

Nach der Entscheidung des EuGH ist davon auszugehen, dass auch das BAG im Falle eines Verstoßes gegen die Übermittlungspflicht nicht von einer Unwirksamkeit der Kündigung ausgehen wird. Weitere Fragen bezüglich § 17 KSchG in den ausgesetzten Verfahren werden voraussichtlich erneut dem EuGH vorgelegt .

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Über die Autorin

Julia Petronis
Julia Petronis Expertin für: IT- und Medien-Recht

Julia ist seit April 2021 als juristische Redakteurin bei uns tätig. Während ihres Studiums der Rechtswissenschaften in Leipzig konzentrierte sie sich vor allem auf das Medien- und IT-Recht, sowie das Wettbewerbs- und Urheberrecht – und kann dieses Wissen heute auch „in der echten Welt“ einsetzen.

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