Themenreihe Marktplätze

Wie barrierefrei sind Online-Marktplätze?

Veröffentlicht: 06.10.2023 | Geschrieben von: Yvonne Bachmann | Letzte Aktualisierung: 08.11.2023
Symbol für Zugänglichkeit mit Rollstuhl

Dieser Artikel ist Teil unserer Marktplatz-Themenreihe: Diese beleuchtet in verschiedenen Beiträgen nicht nur wichtige Zahlen und Fakten von Amazon, Ebay und Co., sondern stellt Händlerinnen und Händlern auch Tipps rund um Marketing, Anzeigen, SEO oder Internationalisierung auf Marktplätzen bereit. Außerdem finden sich Erfahrungsberichte und Interviews zu spezifischen Online-Plattformen wie Temu, Wish und Shein.
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Für die breite Mehrheit mag es selbstverständlich erscheinen: Hier eben mal flott das Bahnticket via Smartphone-App kaufen, dort zügig eine Überweisung tätigen. Doch für Menschen mit Behinderungen kann sich dieser vermeintlich alltägliche Vorgang oft als Herausforderung gestalten, bisweilen sogar unüberwindbar sein. Dabei sind digitale Lösungen gerade auch für sie interessant, denn sie machen viele Wege überflüssig. Wie sieht es auf den Plattformen und Online-Marktplätzen aus? Sind sie eine probate Anlaufstelle für Personen mit Behinderung?

Status quo: Für Online-Marktplätze ist Barrierefreiheit freiwillig

 Hierzulande leben etwa 7,8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung. Und nicht ausschließlich eine Schwerbehinderung ist ein Grund für einen hohen Bedarf an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen. Aufgrund des demografischen Wandels werden Menschen immer älter und damit gibt es zunehmend die Möglichkeit, dass sie von Einschränkungen betroffen sein können. Und beispielsweise führt bereits die weit verbreitete Rot-Grün-Schwäche zu Problemen im Alltag (und beim Online-Einkauf).

Behörden und Krankenhäuser, Universitäten und Bibliotheken, aber auch Gerichte oder andere öffentliche Institutionen mussten ihre Webseiten schon vor einigen Jahren verändern oder anpassen. Seit 2018 sind alle öffentlichen Stellen dazu verpflichtet, ihr digitales Angebot barrierefrei zu gestalten. (Erst) 2025 folgt der nächste Meilenstein und Unternehmen im privaten Sektor werden in die Verantwortung genommen.

Die Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen (umgesetzt durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kurz: BFSG) für Produkte und Dienstleistungen nimmt dann zum ersten Mal auch Hersteller von digitalen Produkten oder Webseitenbetreiber in die Pflicht, denn über kurz oder lang müssen alle Unternehmen nicht nur dafür sorgen, dass ihre Websites und Online-Shops für jedermann barrierefrei zugänglich sind, sondern auch einige Produkte und Dienstleistungen barrierefrei hergestellt werden. Ebay, Kaufland und Co. sowie die angebotenen Produkte (z. B. der Amazon Echo) müssen also derzeit nicht barrierefrei sein. Tun die Plattformen trotzdem freiwillig etwas für die Inklusion? Wir haben nachgefragt und nachgeschaut.

Was macht einen Online-Marktplatz barrierefrei?

Um zu wissen, worauf es Menschen mit Behinderung im Internet ankommt und mit welchen Hürden sie zu kämpfen haben, muss man kurz in die Theorie einsteigen: Produkte und Dienstleistungen sind nach der allgemeinen gesetzlichen Definition barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

Dabei kann Barrierefreiheit noch viel weiter verstanden werden und beispielsweise auch die Lesbarkeit von Texten auf einem Smartphone bei Sonnenlicht meinen oder sich an Reisende richten, die sich in einem lauten Bahnhof ein Video ohne Kopfhörer ansehen möchten. Der barrierefreie Online-Marktplatz müsste für Menschen mit Beeinträchtigungen umfassend wahrnehmbar und verständlich sein, das gilt etwa sowohl für Rechtstexte als auch Produktinformationen. Es sollte allen Interessierten ohne Hürden möglich sein, den Kaufprozess durchzuführen bzw. sämtliche Inhalte und Informationen zur Kenntnis zu nehmen.

Blinde oder sehbehinderte Menschen sind beispielsweise darauf angewiesen, dass Bilder beschrieben werden. Diese sollten also mit Bildbeschriftungen versehen werden. Jedes Bild muss dafür ein sogenanntes Alt-Attribut haben. Ohne alternativen Text ist der Inhalt eines Bildes für Benutzer von Bildschirmleseprogrammen nicht verfügbar. Die Marktplätze und die darüber handelnden Unternehmen müssen außerdem darauf achten, eine einfache Sprache zu verwenden oder bei der Gestaltung der Seite ausreichende Kontraste nutzen. Weitere Merkmale einer nicht-barrierefreie Gestaltung einer Website sind übermäßig viele (interne) Verlinkungen, die eine Navigation ebenfalls deutlich erschweren.

Zusammengefasst bedeutet Barrierefreiheit in Shops/auf Webseiten:

  • Hohe Benutzerfreundlichkeit
  • Leichte und intuitive Bedienbarkeit
  • Hohe Kontraste und Lesbarkeit
  • Einfache, aussagekräftige Texte in leicht verständlicher Sprache
  • Nutzbarkeit über reine Tastatursteuerung und Sprachausgabe ist sichergestellt
  • Aussagekräftige Bereitstellung von Beschriftungen, Labels oder Anweisungen (z. B. von Bildern)
  • Texte sollten sich auf bis zu 200 Prozent in der Größe ändern sowie der Zeilenabstand vergrößern lassen
  • Bereitstellung von Untertiteln und Beschreibungen für Audioinhalte wie Videos
  • Informationen, die sich bewegen oder blinken, sollten pausiert, beendet oder ausgeblendet werden können
  • Einsatz von Technologien, um Werte auszulesen, zu aktivieren oder zu verändern (z. B. Größenauswahl in Drop-Down-Menü)

Was tun die Marktplätze für die barrierefreie Zugänglichkeit?

61 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigung shoppen sehr häufig oder häufig online, weil sie sich dadurch Wege ersparen, die wiederum mit Hürden gespickt sind. Drei Viertel der 78 meistbesuchten Online-Shops sind im Gegensatz dazu aber nur in Teilen barrierefrei. Das zeigt ein Testbericht der Aktion Mensch und Google, mit Unterstützung von BITV-Consult und der Stiftung Pfennigparade, ohne jedoch auf die Barrierefreiheit auf Online-Marktplätzen konkret einzugehen. Nur 17 der getesteten Shops sollen das für viele Menschen mit Behinderung zentrale Kriterium der Tastaturbedienbarkeit erfüllen, so die Untersuchung (wir berichteten).

Schaut man sich als gesunder „Ottonormalverbraucher“ einmal eine Artikelbeschreibung bei Amazon an, kann man dieses Bild bestätigen und ebenfalls bereits an seine Grenzen geraten. Auch ohne eingeschränkt zu sein, fällt sofort auf: Leichte Sprache und Übersichtlichkeit sind hier Mangelware. Ebay und Kaufland punkten da schon eher mit Transparenz und entschlacken die Inhalte, wo nötig. Dass das nicht subjektiv ist, beweist auch eine Studie aus dem Jahr 2022. Der Kontaktlinsenanbieter Lenstore hat hierfür über 100 Internetseiten analysiert und nach einem Punktesystem deren Barrierefreiheit bewertet. Im Bereich E-Commerce liegt Ebay mit 8,42 von möglichen zehn Punkten in Führung. Damit liegt Ebay vor Amazon, welches nur eine Punktzahl von 7,88 erreichte.

Marktplätze: Bei Barrierefreiheit noch Luft nach oben

Amazon schreibt auf seiner Hilfeseite zum Thema Barrierefreiheit: „Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Barrierefreiheit des Amazon.de-Shops und der Amazon-Anwendung für Mobilgeräte („Mobil-App“) zu verbessern, damit unsere Kunden, einschließlich Menschen mit Behinderungen, alle innovativen Produkte, Tools und Services, die Amazon anbietet, einfacher und umfassender erleben können.” Die Praxis, und dazu muss man kein:e Expert:in sein, sieht jedoch nicht sooo rosig aus.

Zwar bietet Amazon Hilfestellungen und verweist auf die Tastaturnavigation, erfindet das Rad damit aber nicht unbedingt neu. Jagt man beispielsweise die Artikelseite für einen Amazon-Fire-TV-Stick einmal durch das Web Accessibility Evaluation Tool von Wave, welches kostenfrei im Netz verfügbar ist, ist das Ergebnis wenig überraschend und die Zahl der Alerts und Fails beweist, was man schon erahnen konnte (siehe dazu die nachfolgenden Screenshots für Amazon (Screenshot 1) und Ebay (Screenshot 2) im Vergleich):

WAVE Report Amazon Fire TV Stick - Stand 04.10.2023 WAVE Report Ebay Sorgenfresser - Stand 04.10.2023

Hier wird vor allem ersichtlich, dass die Artikeldetails bei Amazon von jeder Menge Bildern gespickt sind, die von Menschen mit Sehbehinderung gar nicht und nur eingeschränkt wahrgenommen werden können (s. o.). 

Am Beispiel von Amazon haben viele Bilder keine oder nur wenige Alt-Attribute. Außerdem bemängelt Wave in unserem Beispiel, dass die Schrift nicht ausreichend groß sei oder sehr oft doppelte interne Links verwendet werden, was zu einem unnötigen Navigationsaufwand für User:innen von Tastatur- und Screenreadern führt. An anderer Stelle ist das Weniger-ist-mehr-Prinzip jedoch auch vorteilhaft, denn dort haben die Bilder einen leeren/null Alternativtext (alt="") und die potenziellen Käufer:innen werden nicht mit unnötigen Informationen überfrachtet, wenn ein Bild keinen Inhalt vermittelt oder wenn der Inhalt des Bildes an anderer Stelle übermittelt wird.

Immerhin: Der Händlershop für frustfreie Verpackungen könnte Menschen mit motorischen Behinderungen entgegenkommen, allerdings erscheint die Auswahl dort auch eher wahl- und lieblos.

 

Ebay hat sich offiziell natürlich ebenfalls der Inklusion verschrieben und teilt auf seiner Website mit, dass der Marktplatz aussagekräftige Links sowie Texte für Bilder verwendet. Assistive Technologie wie Screenreader sollen unterstützt werden sowie ein erhöhter Kontrast zwischen Schrift und Hintergrund sichergestellt werden. Dass Ebay damit tatsächlich mehr punkten kann, zeigt ein stichprobenartiges Produkt (siehe Screenshot oben).

Kaufland, optisch auf den ersten Blick ebenfalls deutlich klarer strukturiert, nicht überladen und übersichtlich, verweist auf unsere Anfrage hin auf sein Projekt AX25 (accesssibility experience 2025), geht jedoch auf die konkrete Umsetzung nicht weiter ein.

Tipps für barrierefreie Shops auf Marktplätzen

„Menschen mit Beeinträchtigung werden durch fehlende digitale Barrierefreiheit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen – obwohl sie das Internet überdurchschnittlich intensiv nutzen und eine besonders relevante Gruppe von Online-Kund:innen sind“, sagt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. Doch vielen Händler:innen sind die Hände gebunden, wenn sie über Online-Marktplätze verkaufen. Einer der wesentlichsten Nachteile am Handel über einen großen Online-Marktplatz statt eines eigenen Online-Shops ist die fehlende Einflussnahme auf die Darstellung und Gestaltung. Layout oder Bestellprozess sind optisch unumstößlich.

Damit Unternehmen ihren Amazon-, Ebay- oder sonstigen Marktplatz-Shop barrierefreier gestalten können und sich somit letztlich auch ein breiteres Nutzerspektrum sichern können, gibt es jedoch (wenige) individuelle Möglichkeiten, auf die man als Händler:in Einfluss hat. Das Thema „Anhängen bei Amazon“ ist natürlich wiederum ein Problem für sich.

  • Mit leicht verständlicher Sprache erreicht man auch Nutzer:innen mit Beeinträchtigungen. Besonders zu achten ist auf kurze Sätze und einen einfachen Satzbau. Verzichtet werden sollte auf Fremdwörter oder Abkürzungen.
  • (Ausführliche) Beschreibung der Bilder über das ALT-Attribut (bei Amazon Bildbeschreibung genannt) oder den Namen der Datei (soweit möglich auf dem jeweiligen Marktplatz).
  • Verzicht auf Diskriminierung, Nutzung von gendersensibler Sprache, Verzicht auf Ableismus im Produkttext.

 

Der Online-Handel ist prädestiniert dafür, Menschen bei einem selbstbestimmten Leben zu unterstützen. Schließlich ist der Kauf von Waren im Internet schon jetzt für viele Menschen barrierefreier als in einem stationären Ladengeschäft. Christina Marx von der Aktion Mensch bestätigt dies auf die Anfrage unserer Redaktion: „Die Umsetzung von Barrierefreiheit im Netz ist niedrigschwellig – und wer sie von Beginn an mitdenkt, kann Aufwand und Kosten relativ gering halten und gleichzeitig einen wertvollen Beitrag für die ganze Gesellschaft leisten.“ Daher kann das eine oder andere Unternehmen vielleicht selbst etwas tun, um die noch verbesserungswürdigen Darstellungen der Marktplätze selbst zu optimieren. Die Bedeutung von Barrierefreiheit wird spätestens, wenn sie zum ernstzunehmenden Rankingfaktor wird, hoffentlich erkannt werden. 

Dieser Artikel ist Teil unserer Themenreihe Marktplätze. Eine Übersicht über die wichtigsten Plattformen, Erfahrungsberichte und weitere Artikel zu verschiedenen Marktplatzthemen findet ihr auf unserem Themen-Hub zur Reihe! >> Zur Themenreihe Marktplätze

Über die Autorin

Yvonne Bachmann
Yvonne Bachmann Expertin für: IT-Recht

Yvonne ist schon seit Beginn ihrer juristischen Laufbahn mit Leib und Seele im IT-Recht unterwegs. Seit Anfang 2013 ist sie als Volljuristin beim Händlerbund tätig und berät dort hilfesuchende Online-Händler in Rechtsfragen rund um ihren Shop. Genausolange berichtet sie bei uns zu Rechtsthemen, welche die E-Commerce-Branche aufwirbeln. 

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